weiter.vorn 1.18 material sciences - 35 glas ist fest und spröde, keramik glatt und kor- rosionsbeständig, kunststoffe können biegsam wie eine turnschuhsohle oder hart wie eine cd sein. aus der fülle von werkstoffen kann man je nach dem zweck, den ein produkt erfüllen soll, das passende material auswählen. allerdings gibt es grenzen. denn viele werkstoffe, die in normalen umgebungen geeignet sind, versa- gen in besonderen einsatzgebieten – so sind zum beispiel viele kunststoffe nicht für hohe temperaturen und manche stähle nicht für ag- gressive umgebungen geeignet. natürlich kann man durch kluges materialdesign, durch eine änderung der produktionsverfahren oder den austausch von atomen in metallmischungen, den legierungen, die eigenschaften beeinflus- sen und bis zu einem gewissem grad nach den eigenen wünschen verändern. dennoch ist jeder werkstoff in seinen anwendungsmöglichkeiten beschränkt. wissenschaftler vom fraunhofer-institut für werkstoffmechanik iwm in freiburg wollen diese grenzen künftig ein stück weit verschie- ben – und klassischen werkstoffen neue fä- higkeiten verleihen. und zwar nicht, indem sie das material selbst verändern, sondern dessen struktur. »wir nutzen etablierte werkstoffe, bauen diese aber anders auf«, sagt christoph eberl, mikromechanik-experte und stellver- tretender leiter des iwm. »kunststoffe etwa werden in der regel in einem stück gegossen, wir hingegen bauen daraus genau kalkulierte gitterstrukturen auf, durch die sich das material anders verhält.« zusammen mit seinen kollegen matthew berwind, hamideh jafarpoorchekab und felix schiebel lässt eberl beispielsweise kunststoffe zu polymergittern mit mikrostruk- turen wachsen. entstanden ist dabei unter anderem ein polymer, das so geformt ist, dass die kleinen wände des gitters in einer bestimm- ten richtung nachgeben, wenn man mit einer gewissen kraft auf den kunststoff drückt. die bewegung setzt sich von gitterzelle zu git- terzelle fort, sodass sich der kunststoff genau definiert eindrücken lässt. kunststoff mit systemfunktion natürlich sind elastische kunststoffe schon seit jahrzehnten auf dem markt. eberl aber geht einen großen schritt weiter: »mit unserem ver- fahren kann man ein werkstück aus kunststoff kleinräumig und gezielt an bestimmten stellen strukturieren und verändern.« er denkt zum beispiel an neue arten von armaturenbrettern in autos, die überall steif, an manchen punkten aber dank der mikrostrukturierung nachgiebig sind. solche stellen könnte man als schalter nutzen. der vorteil: für andere schalter, etwa auf basis von piezokeramiken, die elektrische impulse erzeugen, benötigt man ein ganzes schaltsystem aus empfänger, leiter und aktua- tor, um eine bewegung auszulösen. eberl: »bei uns aber soll der kunststoff selbst zum schalter werden.« das material erfüllt damit eine sys- temfunktion. eine andere anwendung, die die forscher derzeit im blick haben, sind beschichtungen für die in- nenseite von prothesen. zu diesem zweck struk- turiert das team kunststoffe, die unter normaler belastung weich sind, bei hoher belastung aber verhärten. »auch so etwas können wir durch mikrostrukturierung des polymers realisieren«, sagt eberl. »prothesen etwa sollten weich ge- polstert sein, um den arm- oder beinstumpf zu schützen. hebt der träger eine schwere last, ist es aber sinnvoll, dass der kunststoff ein wenig verhärtet, damit der stumpf nicht gegen das harte prothesenmaterial gepresst wird.« auch für die dämpfung von exoskeletten wären sol- che kunststoffe geeignet. diese roboteranzüge helfen gehbehinderten menschen beim laufen oder können arbeiter künftig dabei unterstüt- zen, schwere gegenstände zu heben. der 3d-nanodrucker baut werkstoffe auf da christoph eberl etablierten werkstoffen durch die strukturierung sehr gezielt neue funktionen einpflanzt, spricht er von »program- mierbaren materialien«. ein wichtiges werkzeug für die herstellung dieser programmierbaren materialien ist ein 3d-nanodrucker, mit dem sich werkstoffe auf wenige hundert nanometer genau aufbauen oder bearbeiten lassen. der drucker wurde am karlsruher institut für tech- nologie entwickelt. »das gerät ergänzt unsere mikrostrukturierungsexpertise geradezu ideal«, sagt eberl. „wir können damit 3d-strukturen aufwachsen lassen oder strukturen in polymer- schichten brennen.« die präzision, mit der die forscher arbeiten, ist verblüffend. vor kurzem haben sie ein 40 mikrometer breites polymer-dämpfungselement entwickelt, das sich unter druck in verschiede- ne richtungen unterschiedlich ausdehnt. lässt der druck nach, federt das bauteil elastisch in seine ursprüngliche gestalt zurück. damit wird es möglich, druckinformationen in bestimmte richtungen weiterzugeben. »es dürfte etliche anwendungsmöglichkeiten dafür geben«, sagt christoph eberl. so könnten etwa mikro-gelen- ke hergestellt werden. ein ganzer baukasten voller strukturen wo genau dieses oder andere bauteile künftig zum einsatz kommen, ist für den forscher noch zweitrangig. »mit unserer methode stellen wir die entwicklung auf den kopf. für gewöhnlich definiert man ein ziel und überlegt dann, mit welchen werkstoffen es sich erreichen lässt. wir hingegen werden in den kommenden jahren eine menge an programmierbaren materialien bieten, einen ganzen baukasten an strukturen entwickeln, die systemfunktionen übernehmen und mit denen man völlig neue produktideen finden kann«, sagt eberl – so wie das armatu- renbrett mit integrierter knopffunktion. eine riesige spielwiese die freiburger denken nicht nur an mikrostruk- turierte bauteile. denn materialien können auch in größeren dimensionen intelligent strukturiert werden. »für manche anwendungen kann es reichen, dass die einzelnen zellen einer gitter- struktur einen oder mehrere zentimeter groß sind«, sagt eberl. »wir wollen herausfinden, inwieweit man strukturen hochskalieren kann, beziehungsweise in welcher dimension be- stimmte effekte auftreten, und diese zur funk- tionsintegration nutzen.« aktuell arbeiten die iwm-experten vor allem mit polymeren, künftig sollen keramiken und metalle hinzukommen. »insgesamt haben wir mehrere schrauben, an denen wir drehen können: das material, die struktur und die skala«, sagt eberl. das sei eine riesige spielwiese, auf der man mit etablierten materialien neue funktionen kreieren kann. »ich bin gespannt, welche vielversprechenden anwendungen es künftig geben wird.«