weiter.vorn Das Fraunhofer-Magazin Sonderausgabe 2 / 19 Die Geschichte der Fraunhofer-Gesellschaft Vom Hoffnungsträger zum Innovationsmotor

EDITORIAL - 3 Vorwort Seit 70 Jahren besteht unser Grundgesetz. Seit 70 Jahren garantiert es in Deutschland die Freiheit der Wissenschaft. Und seit 70 Jahren weiß die Fraunhofer-Gesellschaft diese Freiheit zu nutzen. Zum Wohle unserer ganzen Gesellschaft. Von mp3- über LED-Technologie bis zu künstlichem Knorpel-Gewebe – Fraunhofer steht für revolutionäre Erfi ndungen, die unser Leben erleich- tern. Der einstige Vorreiter der angewandten Forschung ist zu Europas größter Organisation für angewandte Forschung angewachsen. Deren Wirkung geht über den direkten Nutzen für die Kunden weit hinaus: Durch ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit tragen die Fraunhofer- Institute zur Wettbewerbsfähigkeit der Region, Deutschlands und Europas bei. Denn mit ihrer klaren Ausrichtung auf zukunftsrelevante Schlüssel tech - no logien spielt Fraunhofer eine zentrale Rolle im Innovationsprozess Deutschlands und Europas. Fraunhofer ist zum Innovationsmotor unserer Wirtschaft geworden. Und es ist unsere große Innovationsfähigkeit, die die Stärke unserer Wirtschaft ausmacht und uns zur viertstärksten Wirt- schaftsnation weltweit macht. So soll es weitergehen. Ich gehe davon aus, dass die Fraunhofer- Gesellschaft auch künftig immer wieder neue Wege eröffnet, damit Forschungsergebnisse und neue Technologien schnell und effi zient in Industrie und Gesellschaft ankommen. Ich bin gespannt auf die vielen weiteren Ergebnisse aus der Forschung und Entwicklung der Fraunhofer- Gesellschaft, die dem Wohle der Menschen und der Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland dienen. Zum 70. Geburtstag wünsche ich Fraunhofer stets aufs Neue brillante Ideen, mutigen Forschergeist und das richtige Gespür für die nächste Sprung innovation. Ihre Anja Karliczek Mitglied des Deutschen Bundestages Bundesministerin für Bildung und Forschung

INHALT - 5 70 70 Jahre Fraunhofer- Gesellschaft -- Dynamik des Erfolgs Fraunhofer blickt auf das Erreichte zurück und schaut vor allem nach vorn. 2019 48 2002 -– 2012 Innovations offensive und Forschen im Auftrag der Zukunft Innovation ist zum Synonym für die Über- lebensfähigkeit von Unternehmen gewor- den. Fraunhofer identifi ziert Perspektiven für neue Zukunftsmärkte. 2002 1993 38 1993 -– 2002 Innovationsmotor und Internationalisierung Die nachhaltige Steigerung der Wirtschafts- erträge steht erneut auf der Agenda. Das Profi l der Fraunhofer-Gesellschaft wird geschärft – und der Wirtschaftsertrag zum messbaren Leistungsindikator. Die Inter- nationalisierung beginnt. 2012 58 2012 –– 2019 Exzellenz und Sprunginnovationen Mit dem erklärten Willen, das Wachstum kontrolliert und nachhaltig fortzusetzen sowie neue Themen und Märkte zu identifi zieren, tritt Reimund Neugebauer sein Amt als Präsident der Fraunhofer- Gesellschaft an.

NEUBEGINN UND HÜRDEN - 7 Die etablierten Wissenschaftsorganisationen und staatlichen Auf lagen machten der jungen Fraunhofer-Gesellschaft das Leben schwer. Gefördert wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bundes- republik vor allem die Grundlagenforschung. Beeinflusst durch die aufstrebende marktorientierte Vertragsforschung in den USA gewann die angewandte Forschung Anfang der 1950er-Jahre auch in Deutschland an Gewicht. Doch erst als die Fraunhofer-Gesellschaft damit begann, Forschungsprojekte nicht nur durch eingeworbene Mittel zu fördern, sondern auch eigene Institute zu gründen, eroberte sie sich einen festen Platz in der Wissenschaftslandschaft. Am Samstag, den 26. März 1949, versammelten sich im großen Sitzungs- saal des Bayerischen Wirtschaftsministeriums 210 geladene Gäste aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Hugo Geiger, Staatssekretär im Bayerischen Wirtschaftsministerium, hatte zur Gründung der Fraunhofer- Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V. eingeladen. Diese sei dringend notwendig, weil »bisher die Förderung der ange- wandten Forschung durch eine unmittelbare und dauernde Verbindung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft fehlt«, so Geiger. Durch National- sozialismus, Krieg und Zerstörung sowie die Abwanderung Tausender Wissenschaftler und Ingenieure nach dem Krieg hatte Deutschland in vielen Bereichen der Naturwissenschaft und Technik seine Spitzenstellung eingebüßt. Doch nicht nur der Mangel an qualifizierten Wissenschaftlern, sondern auch staatliche Restriktionen setzten der industrienahen Forschung zu, deren Entwicklungen als potenziell kriegswichtig ein- gestuft wurden. Sie wurde daher unter anderem durch das Referat zur »Überwachung der wissenschaftlichen Forschung« im Bayerischen Wirtschaftsministerium streng kontrolliert. Die Initiatoren der neuen Fraunhofer-Gesellschaft knüpften unterschied- liche Erwartungen an sie: Während Hugo Geiger vor allem auf Impulse für die Industrialisierung des wirtschaftlich rückständigen Bayerns hoffte, ging es einigen nur um die Erschließung heimischer Bodenschätze, insbesondere um Uran. Manche Gründungsmitglieder träumten bereits zu diesem frühen Zeitpunkt von einer großen, überregionalen Forschungsgesellschaft. Der namhafte Kernphysiker und Münchner Universitätsrektor Walther Gerlach wurde zum Präsidenten und Hugo Geiger zum Senatsvorsitzenden gewählt. Eine Kranzniederlegung am Denkmal für den Namenspatron Joseph von Fraunhofer in der Maximilianstraße und ein Essen in der Gaststätte Spatenhaus rundeten den Festakt ab – bezahlt wurde mit Lebensmittelmarken, die noch bis Frühjahr 1950 im Einsatz waren, um den Mangel zu verwalten. » Tatsächlich war die finanzielle Lage der Fraunhofer-Gesellschaft 1954 mehr als prekär; die Frage der Liquidation musste von Vorstand und Senat aufgeworfen werden.« August Epp, Generalsekretär, zum Krisenjahr 1954

NEUBEGINN UND HÜRDEN - 9 Die »weiß-blaue Extrawurst« Trotz aller Bemühungen konnte die Neugründung für viele Jahre ihren regionalen Charakter nicht recht abstreifen. Lange noch galt sie als »weiß- blaue Extrawurst«. Beinah angefeindet von den anderen Wissenschafts- organisationen musste die Fraunhofer-Gesellschaft in den ersten Jahren hart um ihre Existenzberechtigung kämpfen. Viele Wissenschaftler blickten auf die angewandte Forschung herab. Sie sei, so der Vorwurf, keine »richtige Forschung« und ihr Ruf durch den National sozialismus oben- drein ruiniert. Mit dem Rückzug auf die Grundlagenforschung wollten die Wissenschaftler jeder politischen Einfluss nahme vorbauen und setzten auf das Ideal der autonomen und zweckfreien Wissenschaft. Die schwierige Suche nach einem Platz im deutschen Forschungssystem gipfelte 1951 im Versuch des Präsidenten Gerlach, die Fraunhofer-Gesellschaft aufzulösen oder in die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zu überführen. Nach seinem erzwungenen Rücktritt wurden der einflussreiche Industrielle Wil- helm Roelen zum Präsidenten und der ehemalige Weimarer Reichskanzler Hans Luther zum Senatsvorsitzenden gewählt. »Mit der Ablösung des Grundlagenforschers durch einen nordrhein-westfälischen Manager der Schwerindustrie an der Fraunhofer-Spitze war die personelle Flur - bereinigung vollzogen und dadurch die industrienahe Anwendungsorien- tierung betont worden«, beurteilt der Technikhistoriker Helmuth Trischler den Versuch einer Neuorientierung. Doch der Überlebenskampf hielt bis 1955 an. Vor allem der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft machten der jungen Fraunhofer-Gesellschaft das Leben schwer. Dem Stifterverband war die Konkurrenz der Fraunhofer-Gesellschaft bei der Einwerbung industrieller Spendengelder ein Dorn im Auge, die DFG verstand sich als Förderorganisation für die gesamte bundesdeutsche Forschung – inklusive Bayern. Beide betrieben immer wieder die Auflö- sung des unliebsamen Rivalen oder machten sich für die Überführung der Gesellschaft in die DFG stark. Zuwendungen vom Stifterverband erhielt die Fraunhofer-Gesellschaft später nur, weil sie auf das Einwerben von Spenden in der Industrie verzichtete. In den Anfangsjahren sah die Fraunhofer-Gesellschaft ihren Auftrag vor allem darin, Geld einzusammeln und an Einzelforscher oder Laboratorien weiterzureichen. Sie erhielt Zuwendungen des Freistaats Bayern und seit 1951 auch Mittel aus dem European-Recovery-Programm der USA, dem sogenannten »Marshallplan«. Dies war ein großer Erfolg der Fraunhofer- Geschäftsführung, der die zunehmende Anerkennung der Gesellschaft als Vertreterin der angewandten Forschung in der Politik zeigte. Einige wenige träumten sogar von einer großen, überregionalen Forschungsgesellschaft. Gründergeist: Am 1. Juni 1954 öffnet das Institut für angewandte Mikroskopie, Photographie und Kinematographie in Mannheim seine Türen. 1954

NEUBEGINN UND HÜRDEN - 11 1964: Fraunhofer wird zur Träger- organisation für angewandte Forschung im nationalen Innovations system. Hugo Geiger Geiger war ausgebildeter Lehrer und arbeitete von 1929 bis 1946 bei der Al- lianz-Lebensversicherung, zuletzt als Vor- stand. Er engagierte sich nach dem Krieg als Mitglied der CSU in der Politik. Schon 1945 gehörte er der Verfassungsgeben- den Landesversammlung in Bayern an. Von 1947 bis 1950 war er Staatssekretär im Bayerischen Wirtschaftsministerium, von 1950 bis 1953 Landtagsabgeordneter und von 1953 bis 1961 Mitglied des Deutschen Bundestags. Vom »Lumpensammler« zur »dritten Säule« Angetrieben wurde der Umbau der Fraunhofer-Gesellschaft vor allem vom 1954 neu gewählten Senatsvorsitzenden Emil Sörensen sowie Vize- präsidenten Albert Maucher. Der ebenfalls neu gewählte Präsident Her- mann von Siemens, ein Enkel des Erfinders und Konzerngründers Werner von Siemens, sorgte mit seinem Namen für ein wachsendes Renommee. Durch die enge Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg kam es 1954 zur Gründung des ersten Fraunhofer-Instituts in Mannheim, dem Institut für angewandte Mikroskopie, Photographie und Kinematographie (IMPK), mit sieben Mitarbeitern. Hintergrund bildete die Entscheidung von Battelle, ihren deutschen Ableger nicht in Stuttgart, sondern in Frankfurt aufzubauen. Folglich drang Baden-Württemberg auf Ersatz. Schnell erwies sich dieser Umstand als Glücksfall. Mit eigenen Instituten, das erkannte die Führung, war die Fraunhofer-Gesellschaft nicht mehr so einfach aus der Forschungslandschaft zu verdrängen. So verhandelte sie mit verschiedenen Bundesländern über weitere Institutsgründungen: In rascher Folge wurden die Fraunhofer-Institute für hygienisch-bakterio- logische Arbeitsverfahren gegründet (1956 in München), für Steinholz- forschung (1956 in Bonn) und für Elektrowerkstoffe (1957 in Freiburg). Zur gleichen Zeit ging die Fraunhofer-Gesellschaft mit dem Bundesver- teidigungsministerium, das 1955 geschaffen worden war, eine enge Kooperation ein. Sie übernahm die Betreuung von vier Verteidigungs- forschungsinstituten und erhielt dafür kontinuierliche Einkünfte, die es ihr erlaubten, die Gründung weiterer ziviler Institute voranzutreiben. 1959, zehn Jahre nach ihrer Gründung, hatte die Fraunhofer-Gesellschaft bereits neun eigene Institute, 135 Mitarbeitende und ein Finanzvolumen von 3,6 Millionen DM. Auch in den folgenden Jahren hielt die Gesellschaft an ihrem Expansionskurs fest, denn es gab eine Fülle von Forschergrup- pen und Laboratorien von unsicherer Existenz, die eine wissenschaftliche Heimat suchten. Mit dieser Vorwärtsstrategie hatte der »Emporkömmling« Fakten geschaf- fen, an denen auch der politisch einflussreiche Wissenschaftsrat bei seinen Vorschlägen für eine Neuordnung der Forschungslandschaft nicht vorbeikam. Trotz heftiger Vorbehalte rang er sich im Oktober 1964 zu der Empfehlung durch, die Fraunhofer-Gesellschaft zu jener Trägerorgani- sation für die angewandte Forschung auszubauen, die im nationalen Innovationssystem nach wie vor fehlte – allerdings nicht ohne grundlegen- de Veränderungen. Damit schien der Traum endlich in Erfüllung zu gehen, dass die Fraunhofer-Gesellschaft neben der Max-Planck-Gesellschaft und den von der DFG geförderten Hochschulen als »dritte Säule« der deut- schen Forschungslandschaft anerkannt und institutionell gefördert würde.

1949 NEUBEGINN UND HÜRDEN - 13 Junge Republik: Der Wiederaufbau prägt die Nachkriegsjahre. Erst langsam kristallisiert sich heraus, wie die neue Wissens landschaft organisiert sein wird. Das Wirtschaftswunder verbessert seit Mitte der 50er Jahre die Marktsituation auch für Fraunhofer. 1961 Titelbild am Gründungstag: Am 26. März erscheint das Nach richten magazin mit einer Titelgeschichte über die Wahl zur »Miss Wiesbaden«. 1949 Freie Fahrt für die Konjunktur: Von 1948 bis 1952 bringt der »Marshallplan« Kredite, Rohstoffe, Lebensmittel und Waren aus den USA nach Deutschland und Westeuropa. Auch die Fraunhofer-Gesellschaft profitiert von den amerikanischen Zuwendungen. 1955 Eine Frage der Sicherheit: Am 6. Mai 1955 tritt die Bundesrepublik dem westlichen Militärbündnis NATO bei. Das Verteidigungsbündnis soll die westlichen Demokratien vor einem sowjetischen Angriff schützen. Die Fraunhofer-Gesellschaft geht eine enge Kooperation mit dem Bundesverteidigungsministerium ein, das die Verteidigungsforschung in der jungen Republik vorantreibt. Schauplatz des Kalten Krieges: Zwischen 1961 und 1990 verbindet der Checkpoint Charlie als wohl bekanntester Berliner Grenzübergang den sowjetischen mit dem US-amerikanischen Sektor.

KONFLIKTE, UMBAU UND DIE ERFINDUNG DES FRAUNHOFER-MODELLS - 15 Eine Phase der Umstrukturierung: 1970 legte die »Kommission zur Förderung des Ausbaus der Fraunhofer-Gesellschaft« Empfehlungen vor, die die Gründung neuer Institute ebenso vorsahen wie den konzeptionellen und organisatorischen Umbau. Noch im selben Jahr wird die »Gemeinsame Kommission« ins Leben gerufen, die ein umfangreiches Programm zur Neustrukturierung und zum Ausbau der Fraunhofer- Gesellschaft erarbeitet. Mit dem Ergebnis -– dem sogenannten »Fraunhofer-Modell«, das auch die erfolgsabhängige Grundfinanzierung vorsieht -– fand die Fraunhofer- Gesellschaft den Schlüssel für ein beispielloses Wachstum. Sie wurde zum Hoffnungsträger der deutschen Wirtschaft. Studierende demonstrieren 1968 für Reformen, bessere Studienbedingungen und eine Demokrati - sierung des Wissen- schaftsbetriebs. Ende 1968 setzte Forschungsminister Gerhard Stoltenberg eine »Kom- mission zur Förderung des Ausbaus der Fraunhofer-Gesellschaft« ein, sie zählte 15 Mitglieder aus Wissenschaft und Politik, darunter fünf Fraun hofer-Vertreter. Eigentlich sollte das Gremium nur prüfen, welche Institute angenommen und welche neu gegründet werden sollten. Die Arbeit der Ausbaukommission ging aber weit über den Auftrag hinaus: Sie entwarf ein innovatives wissenschaftliches und organisatorisches Gesamtkonzept. Doch wie sollten die weitreichenden Empfehlungen der Ausbaukommis sion umgesetzt werden? Hatte bereits Stoltenberg das Heft in die Hand genommen und die Zu- ständigkeit für die Fraunhofer-Gesellschaft in sein Ministerium gezogen, so beanspruchte der neue Wissenschaftsminister Hans Leussink am 11. November 1970 die Macht in einem Überraschungscoup vollends und forderte die Zustimmung zu einer »Gemeinsamen Kommission« des Bundeswissenschaftsministeriums und der Fraunhofer-Gesellschaft, die unter der Leitung des Ministerialrats Max Scheidwimmer ein um fang- reiches Programm zur Neustrukturierung erarbeiten sollte. Gleichzeitig sollte Scheidwimmer als kommissarischer Vertreter seines Hauses neues Vorstandsmitglied werden. Hans Leussink, von 1965 bis 1969 Vorsitzender des Wissenschaftsrats, war für seine grundsätzlichen Vorbehalte gegen- über Fraunhofer bekannt. Dieser Eingriff in die Autonomie der Fraunhofer- Gesellschaft löste vielfachen Protest aus – nicht nur in der Münchner Geschäftsstelle. Die Wissenschaftsgemeinde war ebenso empört wie die Länder Bayern und Baden-Württemberg, die Fraunhofer mit erheblichem Finanzaufwand über einige Existenzkrisen gerettet hatten. Die Länder fühl- ten sich vom Bund aus ihrer Fraunhofer-Gesellschaft hinausgedrängt. Infolge der heftigen Reaktionen wurde die Vereinbarung abgeschwächt. Ende des Jahres stimmte dann der Fraunhofer-Senat – nach turbulenter Debatte – zu. Die acht Mitglieder der »Gemeinsamen Kommission«, je vier von Fraunhofer und den Ministerien, sollten bis Ende 1972 ein gewalti- ges Programm absolvieren: Eine neue Forschungs-, Ausbau-, Finanz- und Organisationsplanung, eine neue Satzung, eine Rahmengeschäftsordnung für die Institute, Berichte über die Beteiligung und Mitsprache der Mitar- beiter, über den Ausbau und die Organisation der Zentralverwaltung und über das Vergütungswesen. Die – zunächst als Bevormundung empfundene – »Gemeinsame Kom- mission« erwies sich als glückliche Konstruktion, denn sie löste die um- fangreichen Aufgaben mit Bravour. Verantwortlich war dafür vor allem Scheidwimmer, der das Gremium leitete. »Selbst die schärfsten Kritiker mussten bald zugeben, dass das Gremium erfolgreiche Arbeit leistet«, urteilt Historiker Trischler.

KONFLIKTE, UMBAU UND DIE ERFINDUNG DES FRAUNHOFER-MODELLS - 17 » Nichts verdeutlicht die Orientierung der Fraunhofer- Gesellschaft an industri- ellen Unternehmensstrukturen besser als der Wechsel von einem überwiegend ehren- amtlich agierenden, viel- köpfigen Vorstand zu einem hauptamtlichen Führungs- trio mit klar definierten Geschäfts feldern.« Prof. Dr. Helmuth Trischler Das Fraunhofer-Modell Die »Gemeinsame Kommission« hatte einen Ausschuss für Forschungs- und Ausbauplanung eingesetzt. Max Syrbe, nach langjähriger Tätigkeit in der Industrie nun Leiter des Instituts für Informationsverarbeitung in Technik und Biologie (IITB), hatte sich bereits als Fraunhofer-Senatsmit- glied mit Forschungsplanungskonzepten befasst. So konnte er beinah im Alleingang einen Rohentwurf vorlegen, der als Arbeitsgrundlage angenommen wurde. Im Februar 1972 kam Helmar Krupp hinzu, der eine tragende Rolle beim Konkurrenten und Vorbild Battelle gespielt hatte und für Fraunhofer gerade das neuartige Institut für Systemtech- nik und Innovationsforschung (ISI) aufbaute, das als eine Art think tank den Umbau des Innovationssystems unterstützen sollte. Schließlich half bei der Ausarbeitung auch noch Klaus Schroeter mit, der neu angestell- te Planungsreferent. Mitte des Jahres 1972 legten die drei ihren »Entwurf einer Forschungs-, Organisations-, Ausbau- und Finanzplanung« vor. Das fast 100 Seiten starke Konzept, das erheblich vom Grundgedanken der Ausbaukommis- sion abwich, die angewandte Forschung zu konsolidieren und mit einem festen Etat auszustatten, schlug in der Fraunhofer-Gesellschaft »wie eine Bombe ein«, so der Historiker Trischler. Der Widerhall war immens, denn das neue Konzept brach vollständig mit dem bisherigen Denken der Institutsleitungen. Neu war die Einteilung der Forschungsaktivitäten eines Instituts in Eigenforschung, Rahmenforschung und Vertragsforschung. Rahmenforschung und Vertragsforschung sollten zwei Drittel der Gesamttätigkeit eines Instituts ausmachen. Demnach wäre ein Institut fortan gezwungen, zwei Drittel seines Etats selbst zu verdie- nen. Neu war vor allem auch die Art der Finanzierung, weil sie von allen eingespielten Verfahren der Mittelvergabe abwich: Die Grundfinanzierung sollte in dem Maße zunehmen, wie das Finanzvolumen an Vertrags- und Rahmenforschung wuchs. Zudem führte schon allein die konsequente Ausrichtung auf die marktorientierte Vertragsforschung zum Protest vieler Institutsleiter, vor allem jener, deren Arbeitsgebiete bisher fern vom Markt lagen. Umgehend verfassten sechs Institutsleiter einen Gegenentwurf, der sich eng an die Empfehlungen der Ausbaukommission anlehnte und für die Vielfalt unterschiedlich ausgerichteter Institute plädierte. Dies wiederum veranlasste den WTR-Vorsitzenden zum Rücktritt, da er sich übergangen fühlte.

KONFLIKTE, UMBAU UND DIE ERFINDUNG DES FRAUNHOFER-MODELLS - 19 Der Historiker Helmuth Trischler nennt den Kabinettsbeschluss »das Grundgesetz der neuen Fraunhofer-Gesellschaft«. Als ungeheuer folgen- reich erwies sich das Modell der erfolgsabhängigen Grundfinanzierung. Es brachte eine immense Dynamik in die Fraunhofer-Gesellschaft und löste ein nicht für möglich gehaltenes Wachstum aus. Das neue Modell durchbrach den »Teufelskreis«, dass eigenverdiente Mittel den staatlichen Zuschuss minderten. Leistung wurde nun durch die Steigerung der Zu- schüsse honoriert. Anstelle von festgeschriebenen Budgets und Personal- kontingenten konnte jetzt der Erfolgreiche wachsen, und der weniger Erfolgreiche musste schrump fen. Bis heute wirkt das Prinzip als ideales Planungs- und Steuerungsinstrument, das ständige Anpassung an Zu- kunftsmärkte erzwingt und so die Leistungsfähigkeit erhält. Dass das Verhältnis von Grundfinanzierung zu Vertragsforschung nicht im Detail festgeschrieben wurde, erwies sich auf lange Sicht als Vorteil, denn so konnte es je nach geänderten Rahmenbedingungen in Wissenschaft, Wirtschaft und Staat angepasst und neu justiert werden. Vorschlag war, das Modell fünf Jahre zu erproben und alle fünf Jahre zu überprüfen. Die- se Dynamisierung von Struktur und Funktion wurde elementarer Bestand- teil der neuen Identität der Gesellschaft. Wachstum und neue Satzung Es dauerte noch zwei Jahre, bis die Umsetzung des Fraunhofer-Modells im Detail vereinbart werden konnte. Die Ministerien hatten in der Begeis- terung für die marktorientierte Forschung völlig überzogene Erwartungen, was Vertragsforschung leisten kann. Sie glaubten, Fraunhofer könne – nach dem Vorbild Battelle – mit Vertragsforschung nicht nur den größten Teil des Haushalts, sondern auch noch die Investitionen und die Kosten der Zentralverwaltung verdienen. Die Fraunhofer-Gesellschaft musste viel Überzeugungsarbeit aufbieten, um in den Ministerien eine realistische Einschätzung durchzusetzen. Wie viel Prozent des Haushalts konnten die Institute selbst erwirtschaften? Im Jahr 1974 lag die durchschnittliche Eigenquote der Institute bei 54 Prozent. Eine Steigerung auf über 60 Prozent war also durchaus ambitioniert. Die Argumente wurden in der Rahmenvereinbarung Forschungsförderung berücksichtigt, die Ende 1975 verabschiedet werden konnte. Wegen der unklaren Zukunftsperspektiven in der Umbauphase hatte Fraunhofer den Ausbau nur zögerlich vorangetrieben. Das Abwarten er wies sich als goldrichtig, denn von außen wurden permanent Einrich- tungen unterschiedlichster Qualität und Fachrichtung an die Organisation herangetragen. Doch auf Grundlage der Empfehlungen der Ausbaukom- mission hatte sich die Fraunhofer-Gesellschaft zwischen 1969 und 1974 letztlich nur um zehn Institute auf insgesamt 27 Einrichtungen vergrößert. Die 1972 verabschiedete neue Satzung sah einen hauptamtlichen, drei- köpfigen Vorstand mit klar definierten Geschäftsbereichen vor, einen Präsidenten für die Forschungspolitik, einen juristischen und einen kauf- männischen Vorstand. In der Umbauphase war bereits im September 1971 Otto Mohr vom ehrenamtlichen zum hauptamtlichen Präsidenten ernannt worden. » Meine Tätigkeit für Fraunhofer begann 1966 als Senatsmit glied -- damals war die Fraunhofer-Gesellschaft das Schmuddelkind im Wissenschaftsbereich.« Prof. Dr. Max Syrbe

KONFLIKTE, UMBAU UND DIE ERFINDUNG DES FRAUNHOFER-MODELLS - 21 1969 In den 60ern und 70ern trifft gesellschaftlicher Wandel auf Technikoptimismus. Das Unmögliche ist plötzlich vorstellbar. 1970 Überzeugende politische Geste der Ver söhnung: Für seine Demutsbekundung wurde Willy Brandt später der Friedens nobelpreis zuerkannt. 1972 Neuland: Am 16. Juli 1969 verfolgen 500 Millionen Menschen den ersten Schritt Neil Armstrongs auf dem Mond. Nichts scheint den technischen Fortschritt bremsen zu können. Exakt beziffert: Die Ostdeutsche Monika Zehrt (l.) ist bei den olympischen Spielen 0,13 Sekunden schneller als Rita Wilden aus der BRD und gewinnt Gold. Im gleichen Jahr bringt Casio den ersten Taschenrech- ner für Konsumenten auf den Markt. 1974 Mit ihrem Buch »Der kleine Unterschied« macht Alice Schwarzer die Unabhängigkeit der Frau zum Gebot der Stunde.

AUFBRUCH UND AUFSCHWUNG - 23 1974 war der strukturelle Umbau der Fraunhofer-Gesellschaft abgeschlossen. Es konnte damit begonnen werden, die Ausrichtung auf die marktorientierte Vertragsforschung voranzutreiben. Die strategische Forschungsplanung wurde zum zentralen Steuerungs- element, die Insti tute wurden auf die großen staatlichen Förder- programme ausgerichtet und die Vermarktung in die Wirtschaft wurde verbessert. Die Folge war ein kräftiges Wachstum. Die Aufbruchsstimmung zeichnete sich bereits bei der Suche nach dem neuen Präsidenten ab. Angesichts der marktorientierten Ausrichtung der neuen Fraunhofer-Gesellschaft votierten Institutsleitungen, Senat und Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) für einen Manager aus der Industrie. Mit Heinz Keller, Vorstandsmitglied der Vereinigten Metallwerke, fand man die richtige Führungspersönlichkeit. Er hatte Erfahrung in der Hochschul- und Industrieforschung sowie im Unternehmensmanagement und wusste, wie bedeutend technische Innovationen für den Unternehmenserfolg sind. Ihn reizte die Aufgabe, die Fraunhofer-Gesellschaft mitzugestalten. Er verfügte über zahlreiche Industriekontakte, die er zur konsequenten Vermarktung der Vertrags- forschung nutzen wollte. Als Heinz Keller im Juli 1974 sein Amt antrat, fand er eine weitgehend umstrukturierte Zentralverwaltung vor. Die alte Geschäftsstelle war den Anforderungen einer großen leistungsfähigen Organisation für Vertrags- forschung nicht gewachsen. Deshalb waren schon 1972 Ausbau und Neuorganisation der Zentralverwaltung beschlossen worden. Seither ergoss sich das »Füllhorn der hochwertigen Planstellen« über die neu eingerichteten Abteilungen. 1973 konnte der Vorstandsstab, der in- zwischen auf neun Gebäude in München verteilt war, in angemieteten Räumen in der Leonrodstraße zusammengezogen werden. »Damals war Aufbruchsstimmung, eine schöne Zeit! Wir durften aus einem Häuflein heterogener Institute überhaupt erst eine Vertragsforschungsgesellschaft entwickeln«, erinnert sich Zeitgenosse Alexander Imbusch an die Zeit, als er frisch promoviert aus Berlin nach München kam, um das Planungs- referat zu verstärken. Heinz Keller konnte mit seinen neuen Vorstand s- kol legen und der verstärkten Zentralverwaltung zügig loslegen. Er be trach te te die strategische Forschungsplanung von Anfang an als Chef- sache. Er erweiterte die Sektionsaufteilung und richtete den nächsten For schungs plan auf die Technologieprogramme des Bundes aus. Keller setzte zur Ausarbeitung der Forschungsplanung auf den Dialog mit den Instituten. Um sich einen Überblick über deren Arbeit zu verschaf- fen, organisierte Keller Informationsgespräche mit den Institutsleitungen in den neu gegründeten Sektionen. Die Vor- und Nachbereitung sollte die Institutsbetreuung aus der Zentrale übernehmen. Der Ölpreisschock leitet die Weltwirt- schaftskrise ein, die Arbeitslosigkeit steigt. Fraunhofer setzt sich an die Spitze der Entwicklung alternativer Energie- technologien.

Aus der Vielfalt zur Einheit Die Aufgabe, aus der Vielfalt der alten und neuen Institute eine Einheit zu schaffen, drohte schon an den Namen zu scheitern. Traditionsreiche Einrichtungen wie das Ernst-Mach- oder das Wilhelm-Klauditz-Institut bestanden auf der Beibehaltung ihrer Namen. Das größte Problem verursachte aber ein Institut, das gar nicht zur Fraunhofer-Gesellschaft gehörte und sich Fraunhofer- Institut für Sonnenforschung nannte. Erst als es sich 1978 in Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik umbenannte, war der Weg für die Fraunhofer-Gesellschaft frei, alle Institute einheit- lich als »Fraunhofer-Institut für …« zu bezeichnen. Um das Gemein schafts gefühl zu stärken, führte Keller im Jahr 1978 den Joseph-von-Fraunhofer-Preis ein, mit dem seitdem in jedem Jahr heraus ragende Leistungen der Forscherinnen und Forscher aus- gezeichnet werden. Identität fördert man am besten durch gemeinsame Projekte, das wussten die Institutsleitungen ebenso wie der Vorstand. Test fall der institutsübergreifenden Kooperation war das Reaktorsicher- heitsprogramm, an dem sich sechs Fraunhofer-Institute beteilig- ten. In der Folge entwickelte die Zentrale eine ganze Reihe von Pro grammen, die zahlreiche Institute in die Projekt arbeit einbanden. Besonders große Wirkung erzielte das Programm für kleine und mittlere Unternehmen. Heinz Keller gebührt das Verdienst, be- son ders früh auf die Bedeutung des industriellen Mittelstands für die Innovationsfähigkeit hingewiesen zu haben. Denn der rückte nun in den Mittelpunkt der Forschungspolitik. Unter dem Eindruck von Wirtschaftskrise und »technologischer Lücke« fand in den 70er-Jahren ein Paradigmenwechsel in der Technologie- politik statt. Die staatlichen Forschungsprogramme der 60er-Jahre, die mit Kernenergie, Luft- und Raumfahrt auf die Großindustrie zugeschnitten waren, hatten in eine Innovationsfalle geführt, weil die Entwicklung anderer Technologien vernachlässigt wurde. Folglich rückten nun kleine und mittlere Unter neh men in den Fokus der Forschungsförderung. Die neuen Förderprogramme Medizintechnik, Optik und Messtechnik richteten sich besser auf deren Tätigkeitsfelder aus. Analysen im BMFT hatten ergeben, dass im Jahr 1973 ganze 93 Prozent der Zuwendungen an 50 Empfänger, fast nur Großunternehmen, ge gangen waren. Deshalb stieß der Vorstoß von Fraunhofer-Prä sident Heinz Keller, sich in die Förderung des Mittelstands einzuschalten, auf offene Ohren. Weil das BMFT damit aber in die Zuständigkeit des Wirtschafts- ministeriums und der ihm eng verbun denen Arbeitsgemeinschaft industriel ler Forschungs vereinigungen AiF eingriff, waren schwie- rige Abstimmungen nötig, bis das Fraunhofer-Programm im Juli 1976 anlaufen konnte. AUFBRUCH UND AUFSCHWUNG - 25 Dr. Heinz Keller Der promovierte Chemiker Heinz Keller war sowohl in der Forschung als auch im Unternehmensmanagement internatio - nal erfahren. Als Vorstandsmitglied der Vereinigten Deutschen Metallwerke AG hatte er die entscheidende Bedeutung von technischen Innovationen für den Unternehmenserfolg frühzeitig erkannt. 1974 trat Keller sein Amt als Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft an. » Wir konnten ohne einschränkende Rahmen- bedingungen kreativ sein. Es gab ja noch nichts, keine interne Kommunika tion –- also wirklich keine: Nicht einmal alle Instituts- leiter kannten sich!« Dr. Alexander Imbusch, Forschungsplaner

AUFBRUCH UND AUFSCHWUNG - 27 Also entwickelten sie neue Förderinstrumente, um die Ansiedlung technolo- gieintensiver Unternehmen zu unterstützen. Anstelle der bisher geförder- ten Großunternehmen wurden nun kleine und mittlere Unternehmen zum innovationspolitischen Hoffnungsträger. Bundeskanzler Helmut Schmidt kündigte 1976 ein »Forschungs- und technologiepolitisches Programm für kleine und mittlere Unternehmen« an. Baden-Württemberg, dann in ra scher Folge Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen und Berlin zogen mit eigenen Forschungs- und Technologieförderprogrammen nach. Überall wurden Gründerzentren und Technologieparks aus dem Boden gestampft. Fraunhofer-Institute mit ihrer wirtschaftsnahen Ausrichtung galten nun als zentrale Knotenpunkte regionaler Innovationsnetze. Das wollten die Länder nutzen, um den regionalen Strukturwandel zu beschleunigen. Insbesondere Nordrhein-Westfalen betrieb in dieser Zeit eine expansive Forschungsfinanzierung. Verglichen mit anderen Forschungseinrichtungen wurden die Investitionen für ein Fraunhofer-Institut als extrem gering eingestuft: Zum einen erwirtschafteten die Institute einen Großteil ihres Etats selbst, zum anderen zahlte der Bund 90 Prozent der Grundfinanzie- rung. Derweil hatte Keller mit dem Auftrag begonnen, die Gesellschaft zu konsolidieren. Das hieß, die vorhandenen Institute konsequent auf die Vertragsforschung auszurichten und die marktfernen umzusteuern. So wurden in der Ära Keller fünf Einrichtungen, deren Leistungen nicht mehr nachgefragt wurden, aufgelöst oder ausgegliedert. Kellers Forschungsstrategie zielte in zwei Richtungen. Zum einen wollte er die Vertragsforschung mit der Wirtschaft konsequent ausbauen, zum anderen massiv in die großen Fachprogramme des Bundes einsteigen. Keller schwebte zwar vor, je ein Drittel des Forschungsvolumens aus der Wirtschaft und der öffentlichen Hand zu erwirtschaften. Doch vorläufig kamen drei Viertel der Projekte aus der öffentlichen Forschungsförderung. Frischer Wind und frische Köpfe sollten für Aufbruch sorgen. Umwandlung von Sonnenlicht Szenarien von Energiesystemen weisen Photovoltaik neben Wind als zentrale Säule der zukünftigen Energieversorgung aus. Dank des technologischen Fortschritts fielen die Kosten für Solarstrom seit 2006 um 75 Prozent. In Deutschland kann heute Energie aus Photovoltaikkraftwerken für vier bis fünf Eurocent pro Kilowattstunde geliefert werden. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE leistet als größtes europäisches Solarforschungsinstitut hierzu seit vielen Jahren einen Beitrag. Seit seiner Gründung erzielt das Institut immer neue Effizienzrekorde. So hält es seit 2017 den Weltrekordwirkungsgrad für multikristalline Siliciumsolarzellen.

1974 AUFBRUCH UND AUFSCHWUNG - 29 Die erste Ölpreiskrise ab 1973 wirkt wie ein Schock; Bilder von leeren Autobahnen prägen sich ein. 1974 musste die BRD für Ölimporte rund 17 Milliarden DM mehr bezahlen als im Jahr zuvor. Partner mit Gründergeist: Paul Allen und Bill Gates gründen 1975 Microsoft. 1975 1979 In den »wilden 70ern« entwickelt sich die Computer technologie rasant. Das Informationszeitalter beginnt; zugleich ist erstmals von den »Grenzen des Wachstums« die Rede. Die erste europäische Trägerrakete ARIANE startet in Französisch-Guayana zu ihrem Jungfernflug. Die ARIANE-Raketen transportieren in den folgenden Jah ren zahlreiche Satelliten ins All – häufig mit an Bord: Fraunhofer-Technologie.

WACHSTUM UND WIEDERVEREINIGUNG - 31 Nach dem stürmischen Wachstum Ende der 70er-Jahre war für den neuen Präsidenten Max Syrbe Konsolidierung angesagt. Doch die Erfolgs dynamik setzte sich fort. Mit der deutschen Wiedervereini- gung eröffnete sich eine unerwartete Chance auf neue Expansion. Die Fraunhofer-Gesellschaft ergriff schneller und konsequenter als andere Forschungsorganisationen die Gelegenheit und gründete in den neuen Bundesländern 21 neue Institute und Einrichtungen. In der Folge der zweiten Ölkrise setzte Anfang der 80er-Jahre die schwers- te Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik ein. Die einschneidende Wirtschaftskrise und Finanzknappheit erzwangen ein politisches Umden- ken. Mit dem Koalitionswechsel 1982 und dem neuen Bundesforschungs- minister Heinz Riesenhuber begann ein programmatischer Kurswechsel in der Forschungsförderung unter der Leitlinie »Rückzug des Staates aus Markt und Wirtschaft«. Daher wurde die direkte Forschungsförderung weiter zurückgefahren. Gleichzeitig zog sich das Forschungsministerium aus der marktnahen Forschungsförderung zurück und verstärkte stattdes- sen die Grundlagenforschung. Damit zogen für die Fraunhofer-Gesellschaft dunkle Wolken auf. Gleichzeitig vollzog sich auch in München ein Personalwechsel. Die Amts- zeit des 65-jährigen Präsidenten Keller lief Ende des Jahres 1982 aus. Max Syrbe, der sich schon als Erfinder des Fraunhofer-Modells profiliert hatte, galt als der beste Kandidat. Und so wurde er am 1. Oktober 1983 zum Präsidenten gewählt. Gleichzeitig wurden die bei den Vorstände Eberhard Schlephorst und Hans-Ulrich Wiese für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt. Max Syrbe trat sein Amt mit der Maxime der Konsolidierung an. Nach der stürmischen Expansion der vergangenen Jahre stand nun qualitatives Wachstum im Mittelpunkt. Um Konkurrenz und fachliche Überlappungen zu reduzieren, sollten die Institute ihre Kernarbeitsgebiete klar definieren. Mit der Gründung des »Fraunhofer-Verbunds Mikroelektronik« im April 1984 reagierte die Fraunhofer-Gesellschaft auf die Wünsche von Industrie und Politik, thematische Überschneidungen und Doppelinvestitionen zu vermeiden. Vorerst blieb es aber ein lockerer Verbund, denn die Instituts- leitungen beharrten auf ihrem »satzungsmäßigen Freiraum«. Auch Syrbes Wunsch nach weiteren Verbünden erfüllte sich vorerst nicht. Prof. Dr. Max Syrbe Nach dem Abitur in Leipzig studierte Max Syrbe in Frankfurt Physik und promo- vierte 1953 in Regelungstechnik. Nach 15 Jahren Industrietätigkeit als Direktor bei der BBC Mannheim wurde er 1968 Leiter des Instituts für Schwingungsforschung – später Fraunhofer-Institut für Informations- technik und Datenverarbeitung (IITB). Schon 1966 war er in den Senat gewählt worden, seit 1971 engagierte er sich als stellvertretender Vorsitzender im Wissen- schaftlich-Technischen Rat und erfand dabei gemeinsam mit Helmar Krupp das Fraunhofer-Modell, das zur Grundlage der modernen Fraunhofer-Gesellschaft wurde. 1983 wurde er zum Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft gewählt und blieb es bis 1993. Er trieb die Gründung der Fraunhofer-Institute im Osten mit außergewöhnlichem Engagement voran.

WACHSTUM UND WIEDERVEREINIGUNG - 33 » In der Ära von Max Syrbe setzte sich der Name Fraunhofer als Gütesiegel für Kompetenz, Exzellenz und hohe Qualität endgül- tig durch. Syrbe machte die Forschung effizienter: Er sorgte dafür, dass die Fraunhofer-Institute wie richtige Unternehmen ge managt wurden.« Fraunhofer-Finanzvor- stand Hans-Ulrich Wiese gelang es, die Investitio- nen für Bau und Aus stat- tung deutlich zu erhöhen. Auch er hatte erkannt, dass die geforderte Stei - gerung von Effizienz und Qualität nur mit optima- len Arbeitsbedingungen zu erreichen ist. Dazu ge hörten auch neue Ge bäude mit modernen Geräten und Laboren. Also wurde an allen Standorten gebaut, vor allem an den lokalen Zentren Stuttgart, Karls ruhe und Freiburg. In Stuttgart entstand das erste Instituts- zentrum, das in di rekter Nachbarschaft zum Campus der Universität bis zu sechs Fraunhofer-Institute zusammenfassen sollte. Prof. Dr. Gerhardt Zeidler, Senatsvorsitzender Doch die Fraunhofer-Gesellschaft musste zeitgleich ihrem Anspruch gerecht werden, sich auf wachstumsstarke Zukunftstechnologien aus- zudehnen. So entstanden neue Institute zur Lasertechnik in Aachen, zur Graphischen Datenverarbeitung in Darmstadt und zur Oberflächen- technik in Braunschweig. Die Schlüsseltechnologie Mikroelektronik wurde in Erlangen und Berlin sowie in Itzehoe ausgebaut. Um effektiv neue Institute aufnehmen zu können, gründete der Vor - stand im Jahr 1988 eine Fraunhofer-Management-Gesellschaft als privatwirtschaftliche Tochter. Sie sollte Institute und Einrichtungen in der Forschungs planung, dem Projektmanagement und der Verwaltung unter- stützen, und letztlich auch ausloten, ob sich ein Institut für die Aufnahme in die Fraunhofer-Gesellschaft eignet. Doch bevor die verschiedenen Konzepte ihre Wirkung entfalten konnten, entstanden durch den Fall der innerdeutschen Mauer Handlungszwänge, die niemand vorhergesehen hatte. Dr. Hans-Ulrich Wiese Nach Studium und Promotion trat Hans-Ulrich Wiese in die Geschäfts leitung eines mittelständischen Bekleidungs- herstellers ein. 1974 wechselte er zum Computerkonzern Nixdorf. Von 1978 bis 2002 war er Finanzvorstand der Fraunhofer-Gesellschaft. Zu dem Vor- stands bereich gehörte auch Betriebswirt- schaft, Controlling, Einkauf, Bauwesen und die administrative EDV.

WACHSTUM UND WIEDERVEREINIGUNG - 35 1984 Dr. Alexander Imbusch Nach Studium und Promotion in Berlin begann er 1973 in der Planungsabteilung der Fraunhofer-Gesellschaft, wurde deren Leiter und dann Hauptabteilungsleiter Forschung und Kommunikation. Er sorgte 33 Jahre lang für eine hohe Kontinuität in der strategischen Forschungsplanung. Sein Einfluss reichte weit über diese Funk- tion hinaus und prägte die Neupositionie- rung der Fraunhofer-Gesellschaft, wobei er stets auf die ständige Anpassung an wachstumsstarke Zukunftsmärkte achtete. Neue Schneide- und Bearbeitungstechnologien: Mit technischen Innovationen stärkt Fraunhofer den Industriestandort Deutschland. Als der Wissenschaftsrat im Juli 1990 das Mandat zur Begutachtung der außeruniversitären Forschung der DDR annahm, hatte die Fraunhofer- Gesellschaft ihre Evaluierung in einem ersten Schritt bereits abgeschlossen und ein Konzept ausgearbeitet. Die Sondierung ging auch deswegen schneller voran, weil sich die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihren natur- und ingenieurwissenschaftlichen Arbeitsfeldern auf Gebieten bewegte, die wenig ideologisch belastet waren. Als Ausgleich für die – notgedrungen – vorläufige Prüfung von Qualität und Marktchancen sollten die geplanten Einrichtungen auf drei Jahre befristet und erst nach einer eingehenden Evaluierung auf Dauer eingerichtet werden. Syrbe war beeindruckt vom starken Engagement der Betroffenen. »Da un- ser Vorgehen sehr auf die Personen zugeschnitten war, war die Motivation in Ost und West groß. Die einen wollten neu lernen, die anderen helfen«, erinnerte er sich. Mit dem Vertrauensvorschuss wurde eine Motivation und Eigeninitiative ausgelöst, die half, alle Widrigkeiten zu überwinden. Die Bereitschaft zu helfen traf auf die Bereitschaft, Eigenverantwortung zu übernehmen. »Die Fraunhofer-Gesellschaft ist mit größter Hochachtung, viel Wohlwollen und Vertrauen aufgenommen worden«, erinnert sich Reimund Neugebauer, heute Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft und seinerzeit maßgeblich an der Gründung des Fraunhofer IWU in Chemnitz beteiligt. »Die Gründe lagen erstens darin, dass man keinerlei Vorbehalte hatte, und zweitens, dass man die hohe Qualität der technischen Ausbil- dung der Leute vor Ort wertgeschätzt hat.« 1993 Seit seiner Gründung 1993 blickt das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM in Berlin auf eine erfolgreiche Entwicklung zurück. Heute forschen und entwickeln hier mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

1983 Die ersten tragbaren Handys wiegen noch stolze 800 Gramm. Zu einem Stückpreis von 4000 US-Dollar werden 1983 bereits 300.000 Exemplare verkauft. WACHSTUM UND WIEDERVEREINIGUNG - 37 1989 Die 80er und 90er sind geprägt durch ein zwiespältiges Verhältnis zur Technikeuphorie der Vergangenheit. 1990 Go Trabi Go: Begeistert werden die ersten Ostberliner im Westen der Stadt empfangen. Die Wiedervereinigung steht vor der Tür; Fraunhofer ist früh in den neuen Bundesländern präsent. Mit dem Vertrag von Maastricht wird die Europäische Union als überge ord - neter Verbund für die Europäischen Gemeinschaften gegründet. Aus an - fangs 12 Staaten werden bis heute 27. Das Engagement der Fraunhofer- Gesellschaft in Europa ist vielseitig und wird stetig ausgebaut. 1992 Tschernobyl und die Folgen: Die Reaktorkatastrophe entfacht eine neue Diskussion über die Kernenergie.

INNOVATIONSMOTOR UND INTERNATIONALISIERUNG - 39 Konsolidierung und nachhaltige Steigerung der Wirtschaftserträge standen erneut auf der Agenda, als Hans-Jürgen Warnecke das Amt als Fraunhofer-Präsident antrat. Unter seiner Führung wurde das Profil geschärft und der Wirtschaftsertrag zum messbaren Leistungsindikator erhoben. Das Leitbild 2000 beschrieb die Fraunhofer-Gesellschaft als leistungsstarken Verbund vernetzter Institute mit konsequenter Aus- richtung auf den Markt. Mit der Gründung von Fraunhofer USA begann die Internationalisierung. Was Syrbe nicht mehr gänzlich realisieren konnte, forderte Forschungs- minister Riesenhuber nun von Hans-Jürgen Warnecke, der im Oktober 1993 sein Amt als neuer Präsident antreten sollte: Die Steigerung der Wirtschaftserträge auf kurzfristig 33 Prozent. Warnecke, der in Stuttgart das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik IPA zum größten und wirtschaftsstärksten Institut der Fraunhofer-Gesellschaft ausgebaut hatte, traute sich das zu. Er gab als Ziel aus, bis zum Jahr 1995 die Wirtschafts- erträge auf 34 Prozent, die der wirtschaftsnahen Institute sogar auf 40 Prozent zu steigern. Damit war zum einen die andauernde Debatte mit dem Bundesforschungsminister beendet, zum anderen in konse- quenter Fortführung der Fraunhofer-Historie der Wirtschaftsertrag zum alles entscheidenden Bewertungskriterium gekürt worden – denn dieser Leistungsindikator war exakt messbar. Der Anteil des Wirtschaftsertrags am Gesamtbudget wurde von nun an zum dominanten Steuerungsele- ment im Innen- und Außenraum. Heinz Riesenhuber konnte das alles nicht mehr als seinen Erfolg verbuchen, denn er war inzwischen als Bundesfor- schungsminister abgelöst worden. Doch auch seine Nachfolger hielten den drastischen Sparkurs bei. Die Grundfinanzierung der Fraunhofer-Gesellschaft wuchs von 1995 bis 1997 nur um 2 Prozent, 1998 um 3 Prozent, während die Vertragsforschung um jährlich bis zu 9 Prozent Steigerungsraten aufwies. Die Schere ging immer weiter auseinander. Dabei war und ist eine ausreichende Vorlaufforschung essenziell für die Fraunhofer-Gesellschaft. Sie ermöglichte den Freiraum für wissenschaftliche Kreativität und schaffte mit neu entwickelten Tech- nologien und Verfahren die Basis für Attraktivität in der Wirtschaft. Das starke Zurückbleiben der Grundfinanzierung drohte die Zukunftsfähigkeit zu verspielen. Nach der Sonderkonjunktur durch die Wiedervereinigung setzte die Weltwirtschaftskrise umso stärker auch Deutschland zu. Die Fraunhofer- Gesellschaft suchte in dem sich rasch wandelnden Umfeld nach Orientie- rung und entwickelte in einem intensiven Diskurs mit den Instituten das »Leitbild 2000«. In diesen Visionen für das neue Jahrhundert definiert sich die Fraunhofer-Gesellschaft als leistungsstarker Verbund vernetzter Institute, die markt- und kundenorientiert für nationale und internationale Forschungs- und Entwicklungsmärkte arbeiten. Der ausgiebige Prozess der internen Verständigung über gemeinsame Ziele erzeugte sinn- und iden- titätsstiftende Wirkung. Das Profil der Gesellschaft wurde geschärft und neues Selbstverständnis erzeugt. Weil alle Entscheidungsträger bis hin zum Betriebsrat beteiligt waren und Mitverantwortung übernahmen, konnte Warnecke die Neupositionierung ohne größere Widerstände angehen. Forschung für den Markt. » Geschichte der Fraunhofer- Gesellschaft.« von Helmuth Trischler und Rüdiger vom Bruch. Die beiden Historiker veröffentlichten im Jubiläumsjahr 1999 das Buch zur Geschichte der Fraunhofer-Gesellschaft. Es ist keine Festschrift, sondern »eine kritische Betrachtung der Fraunhofer- Gesellschaft aus historischer Sicht«. Die Historiker re cherchierten dazu drei Jahre lang in Archiven von Ministerien und der Fraunhofer-Gesellschaft. »So stand uns eine beispiellos dichte Überlieferung zur Verfügung«, schreiben sie im Vorwort.

INNOVATIONSMOTOR UND INTERNATIONALISIERUNG - 41 Außerdem legte die Zentralverwaltung eine Fülle von internen Förder- programmen auf, mit denen die Zusammenarbeit der Institute stimuliert werden sollte: »Gemeinsame Studien«, »Wirtschaftsorientierte Strategi- sche Allianzen« und »Demonstrationszentren« entstanden. Kooperation mit der Industrie Eine Analyse hatte ergeben, dass es in Deutschland etwa 30 000 Unter- nehmen gab, die selbst Forschung und Entwicklung (FuE) betreiben. »Wir haben also erst 10 Prozent des Markts in Kundenzahl gemessen erreicht und sehen noch erhebliche Potenziale«, mahnte Warnecke, der die Fraunhofer-Gesellschaft als zentrale FuE-Abteilung der Bun- desrepublik Deutschland positionieren wollte. »Es gilt, diese Potenziale durch noch professionelleres Marketing und intensive Akquisition sowie ständige Anpassung unserer Kompetenzen zu erreichen.« » Wir müssen uns wie ein Wirtschaftsunternehmen verhalten und die Regeln einer Behörde unter staat- licher Aufsicht erfüllen.« Prof. Dr. Hans-Jürgen Warnecke Unter dem Leitziel »Kundenorientierung« suchte die Fraunhofer- Gesellschaft neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der Industrie. Das Modell der »Forschungsbrückenköpfe« sollte die Wirtschaft direkt ans Institut holen. Das Stahlunternehmen Thyssen zum Beispiel woll- te die Schlüsseltechnologie Laser für den gesamten Konzern verfügbar machen. Dazu siedelte sich die Tochterfirma Thyssen Lasertechnik am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT in Aachen an. Der Vorteil, Groß- geräte und Infrastrukturen gemeinsam nutzen zu können, spielte in der Mikroelek tronik mit den aufwendigen und teuren Reinräumen eine wichtige Rolle. So entstanden in Duisburg am Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS die Kooperation mit der Firma Elmos und in Itzehoe am Fraunhofer-Institut für Silizium- technoligie ISIT die Koope ration mit dem UnternehmenTemic. Um den Know-how-Transfer in die Wirtschaft zu beschleunigen, wurden im Jahr 1997 an Fachhochschulen eigene Anwendungszentren eingerich- tet. Diese Außenstellen von Fraunhofer-Instituten sollten neue Märkte in der regionalen Wirtschaft erschließen. Die damalige Innovationsforschung wies auf eine entscheidende Lücke bei Transfer und Innovationsprozess hin. Viele technische Neuerungen scheiterten auf dem Weg vom Forschungslabor zum Markt. Labormuster waren zum Teil noch zu weit von den Anforderungen einer Serienproduk- tion entfernt. Durch Prototypen und Kleinserien könnte man diese Kluft überwinden, erkannte die Fraunhofer-Gesellschaft und startete als Modellversuch die Gründung von »Innovationszentren«. Damit erweiterte Fraunhofer die Geschäftsfelder bis hin zur Fertigung kommerziell verwendbarer Prototypen und Klein- serien. Mit den privatwirtschaftlich organisierten Innovations- zentren entsprach dies einem Wunsch der Bundesregierung, der in den »Leitlinien zur strategischen Orientierung der deutschen Forschungslandschaft« formuliert worden war. Ein Traum wird Wirklichkeit: Das erste energieautarke Solarhaus geht in Betrieb. Das vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE konzipierte Gebäude kommt dank Solartechnik und hervorragender Dämmung ohne externe Energiezufuhr aus. 1994

Am Anfang wurde die Internationalisierung kritisch betrachtet, denn die Fraunhofer-Gesellschaft sollte doch zunächst vor allem der deutschen Wirtschaft zur Wettbewerbsfähigkeit verhelfen. Unter dem Druck der be- schleunigten Globalisierung erkannten Politik und Wirtschaft jedoch bald die Vorteile der internationalen Präsenz und unterstützten die Fraunhofer- Gesellschaft intensiv. Flexible Anpassung der Kapazitäten Die straffe Ausrichtung der Fraunhofer-Institute am Markt für Vertrags- forschung erforderte auch eine Anpassung der marktfernen Institute. Warnecke hatte die Gratwanderung der Fraunhofer-Gesellschaft zwischen Ausrichtung auf Zukunftstechnologien und Marktbindung klar beschrie- ben: »Einerseits muß sie zukunftsorientiert forschen, andererseits ist sie aber an Aufträge aus der Wirtschaft gebunden und kann nur so weit vorauseilen, wie es der momentane Forschungsmarkt erlaubt.« Da Schlie- ßungen wegen der Interessen und Sensibilitäten der Bundesländer kaum noch durchsetzbar waren, baute die Fraunhofer-Gesellschaft verstärkt auf die fachliche Umsteuerung von Instituten. Im Gegensatz zu den Groß- forschungseinrichtungen bewies sie damit eine hohe Flexibilität und eine konsequente Anpassung der Kapazitäten an die technologische Entwick- lung. Das Fraunhofer-Institut für Atmosphärische Umweltforschung IFU, das hervorragende Grundlagenforschung leistete, aber keinen Bedarf in der Wirtschaft wecken konnte, wurde schließlich an einen geeigne- teren Träger übergeben. Das Fraunhofer-Modell stimulierte den Wett- be werb und erzwang eine ständige evolutionäre Anpassung an den Markt, die Warnecke intensiv vorantrieb. Als besonders effektiv erwies sich ein Anreizsystem, das jene Institute besonders belohnte, die zwi- schen 25 und 50 Prozent Wirtschaftsertrag erreichten. Mit dieser Dynamik waren auch die in den neuen Bundesländern gegrün- deten Institute und Einrichtungen in den bundesdeutschen Wettbewerb gestartet. Schon nach wenigen Jahren konnten alle entfristet werden; und es dauerte nur acht Jahre, bis Fraunhofer die formelle Unterschei - dung zwischen Ost- und West-Instituten beenden konnte, weil sie diesel- ben Fi nanzstrukturen mit einem hohen Anteil an Wirtschaftserträgen er reicht hatten. Sie hatten damit geschafft, was der Wirtschaft in den neuen Bundes ländern noch lange versagt blieb: den Anschluss an das West niveau und eine Behauptung im nationalen und inter nationalen Wett bewerb. So wurden aus Bruchstücken einer zerfallenden Forschungs - land schaft in den neuen Bundesländern leistungs- und wettbewerbs - fähige Forschungseinrichtungen. INNOVATIONSMOTOR UND INTERNATIONALISIERUNG - 43 1994 Fraunhofer USA Headquarters Fraunhofer USA wurde 1994 gegründet, um angewandte Forschung und Entwick- lung für Kunden aus der Industrie, den Regierungen der Bundesstaaten und der Bundesregierung in den USA zu betreiben. Übergreifende Aktivitäten koordiniert und unterstützt das Headquarter in Plymouth, Michigan. » Mein Ziel war es, dass etwa 40 Prozent des Umsatzes aus Aufträgen mit der Industrie er wirtschaftet werden. Und das haben die Insti tute auch erreicht.« Prof. Dr. Hans-Jürgen Warnecke

INNOVATIONSMOTOR UND INTERNATIONALISIERUNG - 45 Dr. Dirk-Meints Polter Der promovierte Jurist bekleidete verschie- dene Positionen im Bundesforschungs - ministerium, war dann im Direktorium des Deutschen Elektronen-Synchrotons DESY tätig. 1989 übernahm er das Amt des Vorstands für Personal und Recht von seinem Vorgänger Eberhard Schlephorst und übte es bis zum Jahre 2008 aus. Er initiierte die Mitarbeiterbefragung, kümmerte sich um das Dauerthema leistungsorientierte Vergütung und Recruiting-Maßnahmen. Er brachte seine internationale Erfahrung ein und bündelte in seinem Vorstand sbereich die Auslandsaktivitäten. Neuer Schwerpunkt Informations- und Kommunikationstechnologien Schon bei der internen Systemevaluation im Jahre 1998 lautete eine Empfehlung, sich stärker in den Informations- und Kommunikations- technologien zu engagieren. Überraschend für die Öffentlichkeit, die Forschungsgemeinde, aber auch für die Mitarbeitenden der Fraunhofer- Gesellschaft und des GMD – Forschungszentrums Informationstechnik, verkündete Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn im September 1999 die Fusion der beiden Einrichtungen. Es war »der größte, aber auch umstrittenste Coup in der Geschichte der bundesdeutschen Wissen- schaftspolitik«, beurteilt Historiker Helmuth Trischler diese von wenigen Eingeweihten vorbereitete Eingliederung einer Großforschungseinrichtung in die Fraunhofer-Gesellschaft. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) suchte schon seit vielen Jahren für die 1968 gegrün- dete Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) nach einer Neuorientierung. Diverse Umstrukturierungen hatten nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Also glaubte das BMBF, durch eine Vereini- gung mit der Fraunhofer-Gesellschaft erhoffte Synergien freisetzen zu können. Das Fusionsmodell, das von BMBF-Staatssekretär Uwe Thomas mit dem Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft Hans-Jürgen Warnecke, dem Senatsvorsitzenden Horst Nasko und dem Vorstandsvorsitzenden der GMD Dennis Tsichritzis vereinbart worden war, sah vor, die Fraunhofer- Gesellschaft organisatorisch umzubauen und in Unternehmensbereiche zu gliedern. Dennis Tsichritzis sollte Vizepräsident werden und den neuen Bereich Information / Kommunikation leiten. Außerdem sollten die GMD- Institute nicht dem Fraunhofer-Modell unterworfen werden, sondern bis zu 70 Prozent Grundfinanzierung erhalten. Die im kleinsten Kreis getroffenen Vereinbarungen lösten einen Sturm der Entrüstung aus und stießen bei den Betroffenen auf größten Wider- stand. Die Fraunhofer-Gesellschaft kämpfte um den Erhalt des bewährten Fraunhofer-Modells als fundamentales Prinzip der fairen Ressourcenvertei- lung, die GMD um die weitere Finanzierung ihrer Grundlagenforschung. Erst nach zwei Jahren und heftigen Debatten konnte die »Integration« juristisch vollzogen werden, wie Warnecke nun das Ergebnis nannte, das einst als Fusion angekündigt war. Die Fraunhofer-Gesellschaft änderte weder die Organisationsstrukturen noch das Fraunhofer-Modell. Die neu formierte Fraunhofer-Gruppe Informations- und Kommunikationstechnik, die acht GMD-Institute und sechs Fraunhofer-Institute umfasste, war zwar der größte europäische Forschungsverbund auf diesem Gebiet, unterschied sich aber nur wenig von den anderen Institutsverbünden. Ein Forschungsprogramm »Leben und Arbeiten in einer vernetzen Welt« sollte für eine Laufzeit von fünf Jahren vor allem die ehemaligen GMD- Institute unterstützen, um den schrittweisen Aufbau einer Vertragsfor- schung zu ermöglichen. Dennis Tsichritzis wurde als weiteres Mitglied in den Vor stand der Fraunhofer-Gesellschaft aufgenommen. Letztlich war es Fraunhofer gelungen, das mühsam erkämpfte und so erfolgreiche Profil mit einer klaren Ausrichtung auf den Markt nicht verwässern zu lassen.

INNOVATIONSMOTOR UND INTERNATIONALISIERUNG - 47 1991 Tim Berners-Lee entwickelt am CERN die Grundlagen des World Wide Web. Am 6. August 1991 macht der britische Physiker und Informatiker sein Projekt eines Hypertext-Dienstes weltweit verfügbar: Das Internet, wie wir es heute kennen, ist geboren. Die 90er-Jahre sind ein Jahrzehnt des Wandels. Noch ahnen nur wenige, welch tief greifende Veränderungen das World Wide Web mit sich bringen wird. 1996 Klonschaf Dolly: Als erstes mit einem Klonverfahren gezeugtes Schaf versetzt Dolly die Menschen in Staunen und die Wissenschaftsgemeinde weltweit in Aufruhr. Das 2003 verstorbene Tier ist heute im Royal Museum in Edinburgh zu besichtigen. 1998 New Labour: Wie Bill Clintons New Democrats 1992 und Tony Blairs New Labour 1997, so setzt auch Gerhard Schröders »Neue Mitte« auf Eigenverantwortung, Pragmatismus und eine wirtschaftsfreundliche Politik. 1999 Total Eclipse: Die letzte Sonnenfinsternis des Jahrtausends lässt Menschen auf der Suche nach Schutzbrillen Optikergeschäfte stürmen. Der Rest erfreut sich an dem seltenen astronomischen Ereignis.

INNOVATIONSOFFENSIVE UND FORSCHEN IM AUFTRAG DER ZUKUNFT - 49 Am Beginn des neuen Jahrtausends ist Innovation zum Synonym für die Überlebensfähigkeit und Zukunftsorientierung der Unternehmen und Industrieländer geworden. Die Fraunhofer-Gesellschaft ergriff die Chance, sich weiterhin als Innovationstreiber zu präsentieren. Der neue Fraunhofer-Präsident Hans-Jörg Bullinger unterstützte die »Innovations offensive« von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit einer Kommunikationsoffensive. Leit-Innovationen und Perspektiven für Zukunftsmärkte zeigten, wo neue Wachstumspotenziale lagen. Mit der »Hightech-Strategie für Deutschland« legte Bundeskanz lerin Merkel einen klaren Kurs fest. »Herr Professor Bullinger, lassen Sie uns die Innovationsoffensive in Gang setzen«, beendete Bundeskanzler Gerhard Schröder seinen Auftritt auf der Fraunhofer-Jahrestagung im Oktober 2003. Damit hatte Hans-Jörg Bullinger erreicht, was er seit seinem Amtsantritt ein Jahr zuvor gefordert hatte: Eine Innovationsoffensive, um der schwächelnden deutschen Wirt- schaft zu neuer Wettbewerbsfähigkeit zu verhelfen. »Eine Exportnation wie Deutschland kann nur Beschäftigung und Wohlstand sichern, wenn ihre Produkte auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sind. Ein Preiswett- bewerb mit Ländern wie Korea, Taiwan oder Ungarn ist nicht zu gewin- nen«, mahnte er Politik und Wirtschaft. »Und wie sollten wir unseren höheren Lebensstandard begründen, wenn wir Produkte herstellen, die überall produziert werden können? Dazu gibt es nur eine Alternative: Ständig neue, bessere Produkte in den Markt einzuführen.« Schon beim Präsidentenwechsel im Oktober 2002 stand die Faszination des Neuen im Mittelpunkt der Vorträge. Gemeinsam stellten Warnecke und Bullinger das Buch »Kunststück Innovation« vor. Nach über zwanzig Jahren als Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart, das er 1981 aus Warneckes IPA ausgegründet hatte, war Bullin- ger zum Präsidenten berufen worden. Um das Thema Innovation mit neuen Impulsen anzufeuern, stellte Bullin- ger noch im Dezember 2003 in Kooperation mit der Zeitschrift »bild der wissenschaft« zwölf Leit-Innovationen vor. Die Leit-Innovationen, die in einem Fraunhofer-weiten Ideenwettbewerb erarbeitet worden waren, soll- ten an konkreten Beispielen aufzeigen, wo aussichtsreiche Zukunftspoten- ziale für die deutsche Wirtschaft lagen. Das war der Auftakt für das vom Bundesforschungsministerium ausgerufene Jahr der Technik 2004, für das die Fraunhofer-Gesellschaft eine besondere Verantwortung übernahm und eine Großveranstaltung in Stuttgart vorbereitete. Gerhard Schröder hielt Wort und rief schon im Januar 2004 die führen- den Repräsentanten aus Wissenschaft und Wirtschaft – darunter auch Bullinger – zur Gründung der Initiative »Partner für Innovation« in Berlin zusammen. Es war die bis dahin umfassendste Innovationsinitiative in der Geschichte der Bundesrepublik, die für ein innovationsfreudigeres Klima in Deutschland sorgen sollte. Bullinger war treibende Kraft hinter dem Konzept, das von Fraunhofer im Auftrag des Bundeskanzleramts entwickelt wurde. Partner der Initiative waren neben der Bundesregierung 17 Topmanager großer Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Fraunhofer nahm von Beginn an eine aktive Rolle dabei ein und unter- stützte die Einrichtung des »Innovationsbüros« in Berlin. »Das Zurückfallen Deutschlands in der technologischen Leistungsfähigkeit ist eine langfristige Folge des seit den 90er Jahren anhaltend schwachen Wirtschaftswachs- Turbulente Zeiten brauchen kreative Köpfe.

INNOVATIONSOFFENSIVE UND FORSCHEN IM AUFTRAG DER ZUKUNFT - 51 2003 Auf den Märkten der Zukunft kommt neue Technologie zum Tragen. Das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikro in - te gration IZM nimmt im Bereich des Wearable Computing früh eine Vorreiterrolle ein. Interne und externe Vernetzung –- nächste Stufe Die Untersuchungen zur technologischen Leistungsfähigkeit der füh- renden Industrieländer zeigten, dass ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland nicht umfassend und gleichzeitig alle Herausforderungen bewältigen kann, um auf allen Gebieten Spitzenpositionen zu erreichen. »Wenn es gelingt, die Kräfte zu bündeln und die Kompetenzen zu ver- netzen, können wir die kritische Masse und die Schlagkraft erreichen, die nötig ist, um im internationalen Wettbewerb mitzuhalten«, hatte Bullinger erkannt. »Allerdings brauchen wir auch den erklärten Willen, vorne zu bleiben.« Die richtige Strategie dazu sei, die »Stärken zu stärken« – und das erreiche man am besten durch die Vernetzung vorhandener Kapazitäten. Mit diesem Ziel entwickelte Fraunhofer das Konzept der Innovationscluster. Aufgabe dieser Cluster war es, die regionalen Forschungs- und Entwick- lungsressourcen von Wissenschaft und Wirtschaft zu bündeln, um mit konkreten Projekten die Innovationsdynamik anzutreiben. Das Konzept der Fraunhofer-Innovationscluster erwies sich als überaus erfolgreich. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern schrieb: »Derzeit 16 Fraunhofer-Innovationscluster sind ein Erfolgsmodell für eine zukunftsweisende Kooperation mit der Wirtschaft und stehen Pate für den Spitzenclusterwettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.« Durch die eigenen Innovationscluster gut vorbereitet, gelang es den Fraunhofer-Instituten, in fünf von zehn Spitzenclustern eine führende Rolle einzunehmen. Die interne Vernetzung hatte bereits bei Bullingers Amtsantritt eine neue Stufe erreicht. Die Verbünde wurden weiter aufgewertet. Die Satzung wurde geändert und ein neues Präsidium zur Unterstützung des Vorstands bei der Umsetzung der Unternehmenspolitik eingeführt. Das Präsidium besteht aus den Vorstandsmitgliedern und den Verbundvorsitzenden. Die Verbundvorsitzenden werden von den Institutsleitungen des jeweiligen Verbunds gewählt. Es gibt zu dem Zeitpunkt sieben thematisch orientierte Forschungsverbünde: Werkstoffe, Bauteile – MATERIALS; Mikroelektronik; IUK-Technologie; Produktion; Life Sciences; Light & Surfaces und Verteidi- gungs- und Sicherheitsforschung (VVS). »Flexibilität und Reaktionsschnelligkeit sind die Eigenschaften, die in Kri- senzeiten gefragt sind«, betonte Bullinger und trieb die Vernetzung voran. Während sich in den Verbünden fachlich verwandte Institute organisierten, arbeiteten in den Fraunhofer-Allianzen Institute mit unterschiedlichen Kom- petenzen zeitlich befristet zusammen, um ein bestimmtes Geschäftsfeld zu erschließen oder zu vermarkten. Sehr schnell entstand eine Fülle von Allianzen, beispielsweise zu Verkehr, Energie, Leichtbau, Adaptronik oder Ambient Assisted Living. Damit konnte der dringende Wunsch der Industrie erfüllt werden, Systemlösungen aus einer Hand zu bekommen. » Das Erfolgsgeheimnis bei Fraunhofer sind, waren und bleiben auch in Zukunft die Mitarbei- ter. Sie müssen bei uns eine Unternehmenskultur, einen Wertekanon und Karrieremöglichkei ten finden, damit sie sich hier entfalten können.« Prof. Dr. Hans-Jörg Bullinger Kryokonservierungs-Technologie: Das Fraunhofer IBMT versteht sich mit seinen Geschäftsfeldern Labor technologie, Theranostik und Biomedizintechnik als Technologie- und Geräteentwickler im Dienst seiner Kunden. 2005

INNOVATIONSOFFENSIVE UND FORSCHEN IM AUFTRAG DER ZUKUNFT - 53 Prof. (Univ. Stellenbosch) Dr. Alfred Gossner Alfred Gossner studierte Wirtschafts- wissenschaften, Ökonometrie und Politik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der University of Lancaster, außerdem Philosophie an der Hochschule für Philosophie München. 1983 promo- vierte er in Volkswirtschaft an der LMU. Nach fast zwei Jahrzehnten Führungs- tätigkeit im interna tionalen Management, davon mehr als 16 Jahre beim Versiche- rungskonzern Allianz, wurde er 2002 zum Finanzvorstand der Fraunhofer- Gesellschaft gewählt. 2010 wurde er zum »Professor Extraordinary« an der Business School der südafrikanischen Universität Stellenbosch berufen. Nach 15 Jahren als Finanzvorstand schied er Ende 2017 aus, um Präsident der Munich Business School zu werden. Schutzrechte, Know-how – inzwischen zu einem entscheidenden Wettbe- werbsfaktor geworden. Patente werden nicht nur getauscht und lizenziert, sondern immer häufiger eingeklagt. Auch die Fraunhofer-Gesellschaft musste ihre IP-Strategie überprüfen. Bisher waren Patente vor allem genutzt worden, um für die Industrie attraktiv zu sein. Inzwischen ging es darum, ein Schutzrechts-Portfolio aufzubauen und das eigene geistige Eigentum bestmöglich zu verwerten. In verschiedenen Fällen erzeugte die Vermarktung von Lizenzen auch erhebliche Einnahmen – zum Beispiel beim prominenten Beispiel der mp3-Technologie. Ihr überragender wirt- schaftlicher Erfolg ermöglichte es Fraunhofer, eine kapitalstarke Zukunfts- stiftung zu gründen. Durch Vorlaufforschung sollten neue werthaltige Patentcluster geschaffen werden, aus deren Verwertung neue Einnahmen erzielt werden können. Dies öffnete den Weg zu einem nachhaltigen IP-Aufbau. Ein Weg zur Qualifizierung von Spitzenkräften ist die Weiterbildung. Schon in der Vergangenheit hatten sich einige Fraunhofer-Institute in der Ausbildung von Fachkräften engagiert. Mit der Gründung der Fraunhofer Academy im Jahr 2006 wurden die Weiterbildungsangebote unter einem Dach gebündelt und ausgebaut. Das Angebot basiert auf der Forschungs- tätigkeit der Fraunhofer-Institute in Kooperation mit ausgewählten und renommierten Partneruniversitäten. Ziel ist, Fach- und Führungskräfte aus der Wirtschaft mit den neuesten Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung auszustatten. Denn Unternehmen können nur dann in neue Technologien einsteigen, wenn sie frisch ausgebildetes Fachpersonal erhalten, das die neuen Kompetenzen mitbringt und einsetzen kann. Die Fortbildungsangebote der Fraunhofer Academy beschleunigten den Tech- nologietransfer in die Wirtschaft und legten gleichzeitig das Fundament für Karrierelaufbahnen. Mehrfach wurde die Fraunhofer-Gesellschaft derweil in verschiedenen Umfragen zu den beliebtesten Arbeitgebern gewählt. Dennoch wurde es wegen sinkender Studentenzahlen nötig, besondere Recruiting- Maßnahmen zu ergreifen. Neben eigenen Veranstal- tungen und Kampagnen wurden die Aktio nen des Bundesforschungs ministeriums unterstützt, mehr junge Men- schen für ein Stu dium der MINT-Fächer Mathematik, Informations technologie, Naturwissenschaft und Tech- nik zu gewinnen. Mit der Fraunhofer Talent School gelang es, junge Menschen an die Institute zu holen und für Forschung und Technik zu begeistern. Die Fortbildungs - an gebote der Fraunhofer Academy beschleunigen den Technologietransfer in die Wirtschaft und legen gleichzeitig das Fundament für Karrierelaufbahnen.

INNOVATIONSOFFENSIVE UND FORSCHEN IM AUFTRAG DER ZUKUNFT - 55 wissensbasierte Wirtschaftsregion der Welt« zu werden, erreichen wollte. Gleichzeitig mit der stärkeren Präsenz in Brüssel setzte sich die Europäisie- rung von Fraunhofer fort. Erstmals entstanden weitere Repräsentanzen in Europa – in Österreich, Portugal und Italien. Die Bundesregierung hat in diesen Krisenjahren trotz Finanzknappheit die Ausgaben für Bildung und Forschung kontinuierlich gesteigert. 2012 erreichte sie schließlich das ehrgeizige Drei-Prozent-Ziel. Mit den Konjunkturpaketen I und II versuchte die Bundesregierung, die Finanz- krise abzumildern und die Rezession zu überwinden. Der Fraunhofer- Gesellschaft wurden im Programm I Mittel von 65 Millionen Euro für zahlreiche Investitionsmaßnahmen zugestanden, mit denen die deutsche Wirtschaft schnell und nachhaltig unterstützt werden konnte. Alle drei Jahre führte die Fraunhofer-Gesellschaft eine Diskussion zur Identifizierung von signifikanten Leitthemen fort, die einen besonders aktuellen Stellenwert für die Zukunftssicherung des Standorts Deutsch- land haben. »Wir messen uns am Markterfolg, und deswegen müssen wir wissen, was die Kunden morgen von uns erwarten. Wir sind es gewohnt, Signale frühzeitig zu erkennen, Zusammenhänge zu analysieren und Handlungsstrategien zu entwickeln«, erklärte Bullinger. Auf die »12 Leit- Innovationen« folgten die »Perspektiven für Zukunftsmärkte«, dann die »Fraunhofer-Zukunftsthemen« und schließlich die »Märkte von übermor- gen«. Auch die groß angelegte Fraunhofer-Initiative »Morgenstadt«, die Vision einer modernen umwelt- und klimaschonenden urbanen Welt, entstand. Viele Fraunhofer-Institute konnten unter diesem Leitbild ihre Kompetenzen bündeln. Mit dem Pakt für Forschung und Innovation hatte das BMBF Fraunhofer eine Steigerung der Grundfinanzierung um jährlich drei Prozent zuge- sagt. Das gab zwar Planungssicherheit, konnte aber – wie schon in der Vergangenheit – nicht mit dem Wachstum der Vertragsforschung Schritt halten. Schließlich musste die Fraunhofer-Gesellschaft im Jahr 2009 die Integration einer weiteren Forschungsorganisation umsetzen. Die Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaften (FGAN) war eine Gemeinschaft von zuletzt drei Instituten der Verteidigungs- und Sicherheitsforschung. Ganz im Unterschied zur vorherigen Integration der GMD lief diese Eingliederung erstaunlich problemlos. Die früher reinen Verteidigungsforschungsinstitute freuten sich, ihre Kompetenzen nun auch dem zivilen Vertragsforschungsmarkt anbieten zu können. Außerdem versprachen sie sich durch die Anbindung an Universitäten Anschluss an die erweiterte Forschungscommunity. » Künftig werden die Institute stärker unter der Dachmarke Fraunhofer agieren. Wir müssen erkennen, dass das Netzwerk Fraunhofer ein großer Wert ist und dass die Institute noch stärker sind, wenn sie im Verbund agieren.« Prof. Dr. Hans-Jörg Bullinger 2004 Fraunhofer-Institut für Silizium- technologie ISIT: Krankheitserreger oder Gifte automatisiert nachweisen.

INNOVATIONSOFFENSIVE UND FORSCHEN IM AUFTRAG DER ZUKUNFT - 57 2002 2002 wird der Euro als Bargeld eingeführt. Noch im selben Jahr wird er mit dem Internationalen Karlspreis zu Aachen ausgezeichnet, da er »wie kein anderer Integrations - schritt zuvor die Identifikation mit Europa befördert«. Die Nuller-Jahre sind ein hoffnungsvolles Jahrzehnt: Eine neue Währung, ein neues Medien- nutzungsverhalten und ein neuer Präsident in den USA prägen den Geist der Zeit. 2007 Am 9. Januar 2007 präsentiert Steve Jobs das iPhone. Es wird binnen weniger Jahre die Art unserer Medien nutzung revolutionieren. Später wird auch mobiles Fernsehen möglich – dank des High Efficiency Video Coding, entwickelt am Fraunhofer-Institut für Nachrichten - technik, Heinrich-Hertz-Institut, HHI. 2008 4. November 2008: Barack Obama, Kandidat der Demokratischen Partei, wird mit dem vielver sprechenden Wahlslogan »Yes We Can« 44. Präsident der Vereinigten Staaten.

EXZELLENZ UND SPRUNGINNOVATIONEN - 59 Mit dem erklärten Willen, das Wachstum kontrolliert und nachhaltig fortzusetzen, trat Reimund Neugebauer sein Amt als Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft an. Mit neuen Kooperationskonzepten für Leistungszentren und Systemforschung konnte er die wirtschaftliche Effizienz ebenso wie die wissenschaftliche Exzellenz steigern. Neugebauer schärfte das Profil von Fraunhofer als Innovationstreiber für strategische Initiativen zur Lösung künftiger Herausforderungen. Wie seine Vorgänger dachte Reimund Neugebauer weniger an Konso- lidierung, als er zum Fraunhofer-Präsident gewählt wurde. Aus einer detaillierten Analyse aller Aufträge der Fraunhofer-Gesellschaft hatte er erschlossen, wo neues Wachstum zu generieren war: »85 Prozent unserer Auftraggeber verursachen nur ein Viertel unserer Auftragssumme. Wir haben zu viele kleine Aufträge.« Deshalb sah er »dort ein großes Ent- wicklungspotenzial, wo wir nicht nur relativ kleine Detaillösungen liefern, sondern zusammen mit mehreren Fraunhofer-Instituten sowie Forschungs- und Industriepartnern Systemlösungen anbieten«. Mit Reimund Neugebauer hatte der Fraunhofer-Senat erneut einen lang- jährigen und sehr erfolgreichen Institutsleiter zum Präsidenten gewählt. Neugebauer hatte 1991 das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU in Chemnitz mitbegründet und zu einem inter- national führenden Partner der Automobil- und Maschinenbauindustrie ausgebaut. Als er am 1. Oktober 2012 sein Amt als zehnter Fraunhofer- Präsident antrat, setzte er auf die erfolgreichen etablierten Prinzipien, sah jedoch auch Bedarf, das Fraunhofer-Modell weiterzuentwickeln. Er erkannte Wege, die vorhandenen Potenziale besser zu nutzen, um häufi- ger Technologieführerschaft zu übernehmen. Dazu sollte Fraunhofer die Akquisition oberhalb der Institutsebene stärken und eine professionelle Verwertungsstrategie aufbauen. Neugebauer geht es dabei nicht allein um mehr Effizienz durch strategische Fokussierung, sondern ebenso um wissenschaftliche Exzellenz. Ziel ist eine konsequente Strategie für ein nachhaltiges Wachstum. Am 16. September 2015 findet auf dem Gelände des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI das »virtuelle Richtfest« für das autartec®- FreiLichtHaus statt. 2015 Nicht zuletzt trägt die internationale Ausrichtung der Forschung maßgeblich zur Qualifizierung für anspruchs- volle Aufgaben in einer global ausgerichteten Wirt schaft und Wissenschaft bei.

EXZELLENZ UND SPRUNGINNOVATIONEN - 61 Taraxagum™ –- Reifen aus Löwenzahn Im Projekt »TaraxagumTM« dreht sich alles um den russischen Löwenzahn. Das Besondere an dieser Pflanze: Sein Milchsaft enthält größere Mengen an Kautschuk. Prof. Dr. Dirk Prüfer, Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Ab teilungsleiter am Fraunhofer-Institut für Molekular -biologie und Ange- wandte Oekologie IME und sein Team entwickelten den russischen Löwenzahn in Zusammenarbeit mit dem Pflanzenzuchtunternehmen ESKUSA, der Continental Reifen Deutschland GmbH und dem Julius Kühn-Institut innerhalb weniger Jahre von einer Wild- zu einer Nutz- pflanze. Seine Verwen dung als alternativer Naturkaut- schuklieferant stand dabei stetig auf dem Prüfstand. In Zeiten des beschleunigten Wandels wird eine Vorausschau durch so- zioökonomische Forschung immer wichtiger. Nur wenn es gelingt, auch schwache Signale frühzeitig zu erkennen, kann Zukunft gestaltet werden. 2017 konnte der nunmehr achte Fraunhofer-Verbund gegründet werden: Mit dem Fraunhofer-Verbund Innovationsforschung – INNOVATION, in dem fünf Fraunhofer-Institute ihre Arbeit koordinieren, sind nun alle Insti- tute in Verbünden organisiert. Die Institute des Verbunds Innovationsfor- schung sollen sich künftig noch stärker in der Politikberatung engagieren. Präsident Neugebauer hatte sich zum Ziel gesetzt, den Vorteil der Fraunhofer-Gesellschaft – viele Kompetenzen sind unter einem Dach ver einigt – konsequent zu nutzen. So forcierte er den Ausbau der Fraunhofer-Allianzen zu branchen- und regional orientierten Akquise- Plattformen: »Das kann uns große Aufträge und Kooperationen brin - gen und uns systemrelevant für ganze Branchen machen.« Professionelle Verwertung -– werthaltige Patentportfolios Auf das Ausscheiden des damaligen Forschungsvorstands Ulrich Buller folgte eine Neuaufstellung der Vorstandsressorts. Die Forschungsplanung wurde nun ganz dem Präsidenten zugeordnet, während sich der vierte Vorstandsbereich auf das neu etablierte Gebiet Technologiemarketing und Geschäftsmodelle fokussierte. Der neue Vorstandsbereich kümmert sich um institutsübergreifende Kun- denmaßnahmen. Das ist zum einen der Aufbau strategischer Partnerschaf- ten mit wichtigen Unternehmen, zum anderen ist es die Entwicklung von systemrelevanten Lösungen für ganze Branchen, die nur von mehreren Instituten bewältigt werden können. Je nach Bedarf werden die Unter- nehmen mit Innovationsberatung, Machbarkeitsstudien, Produkt- und Prozess entwicklung oder Weiterbildungsformaten unterstützt. Als eine wichtige Maßnahme wurde ein Team von Branchenexperten zusammen- gestellt. Sie ermitteln den Bedarf der Unternehmen an Forschungs- und Entwicklungsleistungen, initiieren institutsübergreifende Projekte und setzen diese gemeinsam mit den Verbünden und Allianzen um.

EXZELLENZ UND SPRUNGINNOVATIONEN - 63 Prof. Dr. Alexander Kurz Alexander Kurz begann 1980 das Studium der Rechts wissenschaft an den Universi- tä ten Regensburg und Tübingen, pro mo- vier te 1993 zum Doktor der Verwaltungs- wissenschaften. Nach Tätigkeiten im Forschungszentrum Karlsruhe, CERN, der Gesellschaft für Schwerionenforschung, wurde er 2009 Vorstandsmitglied am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und 2011 Vorstand für Personal, Recht und Verwertung der Fraunhofer-Gesellschaft. Leistungszentren -– Standorte profilieren sich Die positiven Erfahrungen mit den zahlreichen regionalen Innovations- clustern führten Neugebauer dazu, ein nachhaltiges Standortmodell als zentrales Strukturelement des Technologietransfers zu entwickeln: Regio- nal verankerte, nationale Leistungszentren. Sie sollen den Schulterschluss der universitären und außeruniversitären Forschung mit der Wirtschaft organisieren und zur Profilbildung der Standorte beitragen. Ihre Aufgabe besteht darin, die etablierten Kooperationen mit der Wirtschaft auszu- bauen und neue, agile Kooperationsformen zu entwickeln, die dann sämtliche Akteure im Forschungs- und Innovationssystem nutzen können. Für die Pilotphase wurden mit ausgewählten Universitäten fünf Leistungs- zentren gegründet, zum Beispiel in Freiburg zum Thema Nachhaltigkeit. Deren Finanzierung erfolgt partnerschaftlich durch die Länder, die indus- triellen Partner und Fraunhofer. Das Modell der regionalen Kooperation erwies sich als so erfolgreich, dass inzwischen bereits an 17 Standorten in elf Bundesländern solche Leistungszentren bestehen. Neugebauer wertet dies als Basis für ein deutschlandweites Transfersystem. Mit den Leistungszentren lieferte Fraunhofer erneut ein beispielhaftes Modell der Profilbildung der Regionen. »Besonders leistungsstarke Inno- vationsregionen sollten nach dem Vorbild des Spitzencluster-Wettbewerbs zu internationalen Exzellenzzentren ausgebaut werden«, empfahl das Hightech-Forum, das Beratungsgremium der Bundesregierung. Mit Leitprojekten zu technologischen Durchbrüchen Die Analyse des Innovationsgeschehens zeigte, dass die Entstehung von Innovation zunehmend kooperativer und integrativer wird. Insbesondere an disruptiven Innovationen, die ganze Branchen umwälzen, sind oft Kon- sortien mit zahlreichen Akteuren beteiligt. Vernetzung wird folglich noch mehr als bisher zum Erfolgsfaktor. Aus diesem Grund begann Neugebauer, die Zusammenarbeit der Institute auf eine neue Stufe zu heben: »Wenn wir in großen Konstellationen mit Weltkonzernen unser Gesamtportfolio als synergetisches Merkmal einbringen, sind auch Quantensprünge in zukunftsrelevanten Schlüsseltechnologien möglich.« Dieses anspruchsvolle Ziel wurde im erneuerten Leitbild der Fraunhofer-Gesellschaft als Vision ausdrücklich festgehalten: »Als Innovationstreiber leiten wir strategische Initiativen zur Lösung künftiger Herausforderungen. Daraus entwickeln wir technologische Durchbrüche.« Im Jahr 2015 startete Fraunhofer mit der Initiative »Industrial Data Space«, heute »InDaSpace«, mit dem Ziel, eine digitale Infrastruktur zu schaffen, die auf europäischen Rechts-, Sicherheits- und Datenschutzstandards basiert. Ein sicherer Datenraum ist die Voraussetzung für smarte Services, innovative Leistungsangebote und automatisierte Geschäftsprozesse.

Wirtschaft, Politik und Gesellschaft erarbeitete in acht Fach- foren strategische Leitlinien und prioritäre Handlungsfelder für den Standort Deutschland. In enger Partnerschaft mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und den weiteren Mitgliedern konnte Fraunhofer die innovationspoli- tische Beratung in Deutschland thematisch und methodisch entscheidend prägen. Die Bundeskanzlerin und weitere Vertreter der Bundesregie- rung tauschten sich im Innovationsdialog zweimal jährlich mit hochrangigen Vertretern der Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft aus, um über effektive Rahmenbedingungen für Forschung und Innovation zu diskutieren. Die Mitgliedschaft des Fraunhofer-Präsidenten im Steuerkreis des Innovations- dialogs ermöglichte es, die Themensetzung und den Inhalt der Dialoge mitzugestalten und den direkten Austausch mit politischen Entscheidungsträgern zu nutzen. EXZELLENZ UND SPRUNGINNOVATIONEN - 65 E3 -- industrielle Produktion neu gedacht Wie lässt sich nachhaltig maximale Wertschöpfung bei minimalem Ressourceneinsatz schaffen? 13 Fraunhofer- Institute haben diese Frage mit dem ganzheitlichen Konzept der E³-Produktion beantwortet. Die drei E stehen für effiziente Prozesse und Produkte, effiziente Fabriken und effiziente Arbeitswelten. So entwickelten Wissenschaftler zwischen 2013 und 2016 unter ande- rem ganzheitliche Lösungen für den flächendecken- den Einsatz erneuerbarer Energien in der Produktion, intelligente Assistenzsysteme sowie material- und energieeffiziente Fertigungsverfahren. Viele Erkennt- nisse aus dem E³-Leitprojekt sind in Folgevorhaben eingeflossen, beispielsweise in das Kopernikus- Projekt SynErgie. High Efficiency Video Coding (HEVC) Komprimierte Videodaten wachsen rasanter als je zuvor. Bereits heute bilden sie den mit Abstand höchsten An- teil von Bits im Internet und im mobilen Datenverkehr. Da rüber hinaus nutzen heutige ultrahochauflösen- de Fernsehgeräte die vierfache Full-HD-Auflösung 4K. Dieser Trend zu qualitativ höherwertigen und höher aufgelösten Bildern und Videos geht jedoch auch mit einer stetig wachsenden Datenmenge einher. Um diese möglichst effizient übertragen zu können, bedarf es einer immer besseren Komprimierung. Der Standard H.265 / High Efficiency Video Coding (HEVC) bietet diese hocheffiziente Kompression. Er wurde vom Fraunhofer- Institut für Nachrichtentechnik, Heinrich-Hertz-Institut, HHI gemeinsam mit namhaften Herstellern aus den Bereichen Mobilfunk und Unterhaltungselektronik ent- wickelt und mit einem Primetime Engineering Emmy Award ausgezeichnet.

EXZELLENZ UND SPRUNGINNOVATIONEN - 67 Andreas Meuer Vorstand für Controlling und Digitale Ge- schäftsmodelle. Der Diplom-Kaufmann ist seit 1992 bei der Fraunhofer-Gesellschaft und hatte seitdem verschiedene leitende Funktionen inne. Zuletzt war er Direktor der Hauptabteilung Finanzen, Rechnungs- wesen und Wirtschaftsplan. Dort verant- wortete er unter anderem kaufmännisch das Finanzvolumen der Fraunhofer- Gesellschaft von über zwei Milliarden Euro, entwickelte den Jahresabschluss weiter und baute die Vermögensverwal- tung auf. In interne Digitalisierungspro- jete ist Meuer seit Beginn eingebunden, zum Beispiel beim Dokumentenmana- gement oder bei der Planung der Unter- nehmensressourcen. und durchdringendste. Die digitale Transformation verändert Wirtschafts- strukturen, Formate der Wissensproduktion sowie Arbeits- und Lebens- weisen. Komplementär zur digitalen Transformation, die vor allem eine Vernetzungs- und Effizienzstrategie ist, zielt die auch von Neugebauer identifizierte biologische Transformation auf die zunehmen de Nutzung von Materialien, Strukturen und Prinzipien der belebten Natur in der Tech- nik. Die »biologische Transformation« der Technik verknüpft Verfahren der Lebenswissenschaften eng mit der Material- und Ingenieurwissenschaft sowie der Informationstechnik. Agenda 2022 -- mit Exzellenz und Synergie zu mehr Impact Um den neuen Herausforderungen der digitalen Transformation und den global vernetzten Wertschöpfungsketten bestmöglich begegnen zu kön- nen, entwickelte der Fraunhofer-Vorstand die »Agenda Fraunhofer 2022« als umfassende Roadmap. Sie nimmt die Vision des neuen Fraunhofer- Leitbilds auf, systemrelevante Initiativen für den Standort Deutschland konsequent umzusetzen und fokussiert sich auf die Handlungsfelder Forschung, Transfer, gute Unternehmensführung und Digitalisierung. »Mit der Agenda wollen wir Exzellenz und Synergie unserer Arbeit weiter steigern, wir wollen als vernetzter Innovator mit effizienten Forschungs- und Transferstrukturen unsere Alleinstellungsmerkmale ausbauen und so unsere Attraktivität für Auftraggeber erhöhen«, erläutert Neugebauer und begründet die Vorwärtsstrategie. »Wir haben eine stark steigende Kom- plexität im Innovationsgeschehen, um zu echten disruptiven Innovationen zu kommen. Und wir haben einen steigenden Wettbewerb im Wissen- schaftssystem Deutschlands und Europas. Man erwartet von uns Lösungen für ganze Branchen und einen Impact auf die Gesellschaft.« An erster Stelle der Agenda stehen die Prioritären Strategischen Initiativen. Sie haben den Anspruch, in wichtigen Themengebieten eine strategische Führungsrolle zu übernehmen: Batterietechnologie / Batteriezellproduk- tion, Biologische Transformation, Kognitive Systeme / Datensouveränität, Öffentliche Sicherheit, Programmierbare Materialien, Quantentechnologie und Translationale Medizin. Diese systemrelevanten Themen, die nur institutsübergreifend bearbeitet werden können, werden zum einen in den neuen Fraunhofer Clusters of Exzellence und zum anderen in den Leitprojekten gefördert. Dabei sind insbesondere die Fraunhofer Cluster of Excellence dauerhaft angelegt. Organisatorisch entsprechen diese Forschungscluster einem »virtuellen Institut«, das sich über mehrere Standorte verteilt. Ziel ist, in wichtigen Forschungsthemen wie Advanced Photon Sources, Programmierbare Materialien, Immunmediierte Erkrankungen und Kognitives Internet eine führende Rolle einzunehmen. Im Unterschied dazu sind die Leitpro- jekte auf zwei bis drei Jahre befristet. Jährlich fördert der Vorstand drei neue Leitprojekte. Neben dieser wissenschaftlichen Profilierung steht die regionale Profilie- rung im Mittelpunkt der Agenda 2022. So sind neuartige Projektzentren entstanden, an denen mehrere Institute zusammenarbeiten: in Wolfsburg zur Automobilproduktion, in Erfurt zur Mikroelektronik, in Braunschweig zu Energiespeichern und in Würzburg zur Stammzellprozesstechnik. Die 17 Leistungszentren sollen zu einem Transfersystem für Deutschland aus- gebaut werden, um einen Innovations-Push zu stimulieren.

2013 2014 Unser Mann im All: Der Geophysiker und Astronaut Alexander Gerst fliegt als Bordingenieur der ISS-Expeditionen 40 und 41 ins All. EXZELLENZ UND SPRUNGINNOVATIONEN - 69 Ursprünglich für die Luft fahrt- und Automobil technologie entwickelt, erobern 3D-Drucker mehr und mehr den Massenmarkt. Neue Technologien erleichtern den Alltag, Europa verändert sich: Die jüngste Vergangen- heit und die Gegenwart halten viele Potenziale bereit. Die Zukunft gehört den Mutigen. 2015 2018 Politik mit Aussicht: Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama bei der G7-Konferenz auf Schloss Elmau. Im November 2018 protestieren Brexit-Gegner gegen die Politik von Premierministerin Theresa May.

Bildquellen Bundesregierung / Guido Bergmann: 3; DER SPIEGEL 13/1949: 13; DER SPIEGEL 17/1990: 37; NASA: 21; ESA/CNES/Arianespace/Optique vidéo du CSG: 29; Fraunhofer-Gesellschaft: 8, 9, 10, 11, 12, 13, 16, 18, 20, 21, 25, 26, 27, 28, 29, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 39, 40, 41, 42, 44, 45, 46, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67; picture alliance / KEYSTONE: 6 (105864615); picture alliance / AP Photo: 21 (38812523), 30 (37059115), 47 (80113854), 57 (107270968); picture alliance / dpa: 13 (12417357), 14 (12264980), 21 (9712645), 21 (763531), 22 (4213691), 29 (12229738), 29 (2514375), 37 (11754284), 38 (2141863), 47 (2368791), 48 (6225946), 57 (13113273), 69 (59025607), 69 (49320628); picture alliance / imageBROKER: 37 (109261892), 47 (107095700); picture alliance / REUTERS: 47 (102490380); iStock: 57 (166022765), 69 (815430462); SOPA Images Limited / Alamy Stock Foto: 69 (R2N0X2); Fotolia: 13 (65837947); bpk-Bildagentur: 13 (h_00022814) (Es wurde versucht den Rechteinhaber zu ermitteln, dieser kann sich ggf. noch melden.) Impressum Fraunhofer-Magazin »weiter.vorn« Zeitschrift für Forschung, Technik und Innovation. ISSN 1868-3428 (Printausgabe) ISSN 1868-3436 (Internetausgabe) Herausgeber: Fraunhofer-Gesellschaft Hansastraße 27c, 80686 München Redaktionsanschrift wie Herausgeber Telefon +49 89 1205-1301 magazin@zv.fraunhofer.de www.fraunhofer.de/magazin Kostenloses Abonnement: Telefon +49 89 1205-1301 publikationen@fraunhofer.de Redaktion: Janis Eitner (V.i.S.d.P.) Roman Möhlmann (Chefredaktion) Redaktionelle Mitarbeit: Dr. Sonja Endres, Thomas Eck, Marion Horn, Franz Miller Graphische Konzeption: Zeichen & Wunder GmbH, München Layout + Litho: Zeichen & Wunder GmbH, München Druck: Gotteswinter & Aumaier GmbH, München © Fraunhofer-Gesellschaft e. V., München 2019